Leitsatz

Art. 4 Abs. 1 bis 3 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass derjenige, der seine wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt hat, aber für die Räume, die er für diese Tätigkeit genutzt hatte, wegen einer Unkündbarkeitsklausel im Mietvertrag weiterhin Miete und Nebenkosten zahlt, als Steuerpflichtiger im Sinn dieser Vorschrift anzusehen ist und die Vorsteuer auf die entsprechenden Beträge abziehen kann, soweit zwischen den geleisteten Zahlungen und der wirtschaftlichen Tätigkeit ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht und feststeht, dass keine betrügerische oder missbräuchliche Absicht vorliegt.

 

Normenkette

Art. 4 Abs. 1 bis 3 der 6. EG-RL (§ 2 UStG) , Art. 17 der 6. EG-RL (§ 15 UStG)

 

Sachverhalt

Fini H ist eine KG, die ein Restaurant betrieb. Für die Ausübung dieser Tätigkeit mietete sie ab Mai 1988 Räume an. Der für eine Laufzeit von zehn Jahren geschlossene Mietvertrag konnte erst mit Wirkung vom September 1998 gekündigt oder aufgelöst werden.

Fini H stellte ihre Tätigkeit Ende 1993 ein, und die Räume blieben anschließend ungenutzt. Sie versuchte vergeblich, das Mietverhältnis aufzulösen oder einen anderen Mieter zu finden. Nach Aufgabe des Restaurantbetriebs machte sie vergeblich die Vorsteuer geltend, die sie auf die Ausgaben im Zusammenhang mit der Miete (Mietzins, Kosten für Heizung, Strom und Telefon) entrichtet hatte.

 

Entscheidung

Wer – wie Fini H – seine wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt hat, aber für die Räume, die er für diese Tätigkeit genutzt hatte, wegen einer Unkündbarkeitsklausel im Mietvertrag weiterhin Miete und Nebenkosten zahlt, ist als Steuerpflichtiger im Sinn dieser Vorschrift anzusehen und kann die Vorsteuer auf die entsprechenden Beträge abziehen, soweit zwischen den geleisteten Zahlungen und der wirtschaftlichen Tätigkeit ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht und feststeht, dass keine betrügerische oder missbräuchliche Absicht vorliegt. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn Fini H hinsichtlich der Miet- und Nebenkostenzahlungen für die Zeit nach der Einstellung des Restaurantbetriebs das Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen, aber die zuvor für das Restaurant verwendeten Räume für rein private Zwecke nutzen würde.

 

Hinweis

Das Urteil betrifft ein Vorabentscheidungsersuchen aus Dänemark und Art. 4 der 6. EG-RL (§ 2 UStG), konkret: Die Frage, ob auch nach Aufgabe der Tätigkeit noch Leistungen für das Unternehmen (Vorsteuerabzug) bezogen werden können. Es geht um Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang eines unkündbaren Mietvertrags nach Aufgabe der Tätigkeit angefallen waren.

Die Grundsätze:

1. Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. 6. EG-RL (unternehmerische Tätigkeit – § 2 UStG) kann mehrere aufeinander folgende Handlungen umfassen (Randnr. 21).

2.Vorbereitende Tätigkeiten sind daher als wirtschaftliche Tätigkeiten anzusehen. Der Vorsteuerabzug hierfür bleibt berechtigt, selbst wenn später die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit nicht zu besteuerten Umsätzen führte (Randnr. 22).

3.Für die Übertragung eines Gesamtvermögens hat der EuGH den Vorsteuerabzug für damit zusammenhängende Dienstleistungen anerkannt, da die Kosten Bestandteil der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen (Unternehmens) vor der Übertragung sind, auch wenn er nach der Inanspruchnahme der für diese Übertragung erbrachten Dienstleistungen nicht mehr tätig wird (Randnr. 23).

4. Auch Vorsteuerbeträge für Aufwendungen, die nach Beendigung des Unternehmens anfallen, sind abziehbar, wenn sie in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, stehen; denn der Unternehmer soll vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden (Randnrn. 25 und 26).

5. Das Recht auf Vorsteuerabzug bei der Liquidation des Betriebs ist nur anzuerkennen, soweit es dabei nicht zu Betrügereien oder Missbräuchen kommt (Randnrn. 31 und 32).

6. Sollte die Steuerbehörde feststellen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise ausgeübt wurde, könnte sie rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge verlangen (Randnr. 33).

7. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise geltend gemacht wird (Randnr. 34).

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 3.3.2005, Rs. C-32/03 – I/S Fini H –

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