Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob der Vorsteuerabzug aus einer im Reverse-Charge-Verfahren geschuldeten Steuer versagt werden darf, wenn Aufzeichnungspflichten bezüglich des Abzugsrechts verletzt wurden und das Abzugsrecht nicht binnen einer im nationalen Recht vorgesehenen Frist ausgeübt worden ist, die Finanzbehörde die geschuldete Steuer von dem betroffenen Unternehmer aber dennoch erhebt.

Die Klägerin ist ein italienisches Unternehmen, das im Jahr 2001 mehrere Rechnungen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erhalten hatte. In diesen Rechnungen war (offenbar ohne gesonderten Steuerausweis) über die Vermietung von Schiffen ("Schiffscharter" oder "Verfrachtung") für innergemeinschaftliche Warentransporte (Transporte von Italien in andere EU-Mitgliedstaaten) abgerechnet worden. Die Klägerin war der Auffassung, die an sie ausgeführten Umsätze seien steuerfrei. Die italienische Finanzbehörde hatte auf die abgerechneten Leistungen Umsatzsteuer festgesetzt, die die Klägerin als Leistungsempfängerin schulde (Reverse-Charge), den der Klägerin zustehenden Vorsteuerabzug aus der geschuldeten Steuer jedoch nicht gewährt. Die Verweigerung des Vorsteuerabzugs wurde damit begründet, dass die Klägerin ihren Verpflichtungen nach italienischem Mehrwertsteuerrecht nicht nachgekommen sei, über die erhaltenen Dienstleistungen eine Eigenrechnung auszustellen, daraus die geschuldete Steuer zu ermitteln und die Eigenrechnung in das Register der Ausgangsrechnungen einzutragen sowie die Steuer in das Register der Eingänge einzutragen mit der Folge einer Buchgutschrift der Steuer für Zwecke des Vorsteuerabzugs. Das Vorsteuerabzugsrecht müsse innerhalb einer Ausschlussfrist ausgeübt werden, und zwar bis Ablauf der Frist für die Abgabe der Jahreserklärung für das zweite auf das Jahr folgende Jahr, in dem der Vorsteuerabzug entstanden ist. Im vorliegenden Fall hätte also das Vorsteuerabzugsrecht spätestens in der 2004 für 2003 (Zweites Folgejahr) abzugebenden Jahreserklärung geltend gemacht werden müssen. Die Klägerin bleibe verpflichtet, die geschuldete Steuer zu entrichten, weil die Festsetzungsfrist (vier Jahre) länger sei, als die Frist für die Ausübung des Vorsteuerabzugs (zwei Jahre).

Die Klägerin argumentierte, die Rechnungen seien im Register der Eingänge eingetragen worden, allerdings ohne Mehrwertsteuer, weil man davon ausgegangen sei, dass die Leistungen nicht in Italien steuerbar gewesen seien. Selbst wenn die von der italienischen Behörde vorgenommene Umqualifizierung in Reverse-Charge-Umsätze richtig sei, habe die Funktionsweise des Reverse-Charge nicht gesprengt werden können, indem zwar die Umsatzsteuer festgesetzt, der Vorsteuerabzug jedoch nicht gewährt wurde.

Das Vorlagegericht bezweifelte, ob die Befristung der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts wie im vorliegenden Fall gemeinschaftskonform war. Das Recht auf Vorsteuerabzug (Art. 17 Abs. 1 und 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie; ab 1. 1. 2007: Art. 167 und 168 Buchst. a MwStSystRL) könne durch förmliche Verpflichtungen (die die Mitgliedstaaten nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d und insbesondere Art. 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie; ab 1. 1. 2007: Art. 178 Buchst. f bzw. Art. 273 MwStSystRL vorsehen können) nicht systematisch in Frage gestellt werden. Auch Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie (ab 1. 1. 2007: Art. 176 MwStSystRL) sei nicht anwendbar, weil dort nur ein materieller Vorsteuerausschluss geregelt sei.

 

Entscheidung

Der EuGH hat zur Frage der unterschiedlichen Fristen für die Steuerfestsetzung und das Vorsteuerabzugsrecht entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht es den Mitgliedstaaten nicht verbietet, eine Ausschlussfrist zur Ausübung des Vorsteuerabzugs aus einem Eingangsumsatz festzulegen. Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass der Vorsteuerabzug entweder während des (Besteuerungs-)Zeitraums, in dem er entstanden ist, ausgeübt wird oder aber innerhalb eines längeren Zeitraums unter der Voraussetzung, dass bestimmte in ihren nationalen Regelungen festgelegte Bedingungen und Einzelheiten befolgt werden.

Selbst eine Ausschlussfrist von lediglich 2 Jahren macht an sich die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht praktisch unmöglich und erschwert diese auch nicht übermäßig, da die Mitgliedstaaten nach Art. 18 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Artikel 179 Abs. 1 MwStSystRL) verlangen können, dass der Steuerpflichtige sein Abzugsrecht während des gleichen Zeitraums ausübt, in dem es entstanden ist. Dies gilt nach dem Urteil auch unter der Voraussetzung, dass - wie im Ausgangsfall - die Frist zur Festsetzung einer geschuldeten Ausgangssteuer länger dauert.

Der EuGH begründet dies damit, dass die Finanzverwaltung sich in einer anderen Lage als die des Steuerpflichtigen befinde. Sie erhalte die Informationen über Steuer und Vorsteuer immer erst später, nämlich frühestens mit Eingang der Steuererklärung. Im Falle von Unrichtigkeiten könne sie daher frühestens ab diesem Zeitpunkt berichtigte Steuerforderungen festsetzen.

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