Sachverhalt

Die Klage der EU-Kommission gegen Ungarn richtete sich gegen eine ungarische Verfahrensregelung, wonach ein Vorsteuerüberschuss an einen Unternehmer nur in Abhängigkeit von den tatsächlich bezahlten Eingangsumsätzen ausgezahlt wird. Unternehmer, deren Steuererklärung für einen bestimmten Steuerzeitraum einen "Überschuss" im Sinne von Art. 183 MwStSystRL ausweist, sind nach den ungarischen Bestimmungen dazu verpflichtet, diesen Überschuss oder einen Teil davon auf den folgenden Steuerzeitraum vorzutragen, wenn sie dem leistenden Unternehmer nicht den Gesamtbetrag für den bezogenen Umsatz gezahlt haben. Demzufolge müssen Unternehmer, die regelmäßig Vorsteuerausschüsse ausweisen, den Überhang mehr als einmal auf den folgenden Steuerzeitraum vortragen. Mit dieser Regelung wird - unabhängig von der Kannbestimmung nach Art. 167a MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten bei reinen Istversteuerern regeln dürfen, dass der Vorsteuerabzug ebenfalls nur nach dem Istprinzip möglich ist (Art. 167a wurde durch die Richtlinie 2010/45/EU (ABl. EU 2010 Nr. L 189/1) eingeführt, die spätestens zum 31.12.2012 umgesetzt sein muss) - im Grunde (auch bei Sollversteuerern) der Vorsteuerabzug partiell nur nach dem Istprinzip gestattet.

Die Kommission räumte in ihrer Klage ein, dass Art. 183 MwStSystRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belässt, darüber zu entscheiden, ob sie Vorsteuerüberschüsse vortragen lassen oder erstatten. Allerdings könnten die Mitgliedstaaten diesen Ermessensspielraum nur unter Beachtung der Grundsätze des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems insgesamt sowie insbesondere des Grundsatzes der Steuerneutralität ausnützen. Da Art. 183 MwStSystRL den Mitgliedstaaten gestatte, den Vorsteuerüberschuss einmal in den folgenden Steuerzeitraum vortragen zu lassen, eine Bestimmung sei, die den Neutralitätsgrundsatz prinzipiell einschränke, sei die Vorschrift eng auszulegen. Da Art. 183 MwStSystRL nur gestatte, den Vorsteuerüberschuss ein Mal "auf den folgenden Zeitraum" vortragen zu lassen, verstoße die ungarische Regelung gegen diese Bestimmung, da dem Unternehmer der Überschuss nicht spätestens nach Ablauf des übernächsten Steuerzeitraums erstattet werde.

 

Entscheidung

Der EuGH hat - den Schlussanträgen entsprechend - der Klage stattgegeben. Die ungarische Regelung ist nicht vom mitgliedstaatlichen Ermessen zur Regelung der Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 MwStSystRL gedeckt. Nach der Entscheidung entsteht nach den Art. 167 und 63 MwStSystRL das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich mit der Durchführung des Umsatzes, unabhängig von der Zahlung der Gegenleistung. Wenn die Erstattung eines Vorsteuerüberschusses dennoch von der Zahlung der Gegenleistung abhängig gemacht wird, nimmt dies nach dem Urteil dem Vorsteuerabzugsrecht die praktische Wirksamkeit. Eine entsprechende Bedingung könne deshalb nicht im Rahmen des Art. 183 MwStSystRL für die Erstattung eines Vorsteuerüberschusses von den Mitgliedstaaten geregelt werden.

 

Hinweis

Das deutsche Umsatzsteuerrecht ist von dem Urteil nicht betroffen. In Deutschland können Unternehmer derzeit die Vorsteuer bereits abziehen, wenn eine Leistung an sie erfolgt ist und entsprechend Rechnung gelegt wurde. Die Zahlung des Entgelts an den Leistenden ist hierfür grundsätzlich unerheblich; daher verschafft der Vorsteuerabzug dem Leistungsempfänger in vielen Fällen einen Liquiditätsvorteil. Stimmt das Finanzamt einer zustimmungspflichtigen USt-Voranmeldung zu, ist der entsprechende Erstattungsbetrag grds. auszuzahlen (Ausnahme: Aufrechnung oder Verrechnung). Die deutsche Rechtspraxis beruht auf Art. 167 MwStSystRL, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch (des Fiskus) auf die abziehbare Steuer entsteht. Der Steueranspruch entsteht nach Art. 63 MwStSystRL grundsätzlich mit Bewirkung der Leistung. Art. 167 MwStSystRL bestimmt jedoch nicht den Zeitpunkt der Auszahlung von Vorsteuerguthaben. Eine Regelung dazu existiert nur in Art. 183 MwStSystRL.

Damit müssen die MS, die die Vortragsregelung anwenden, Überhänge, die sich auch nach Vortrag in den nächsten Besteuerungszeitraum noch ergeben, in jedem Fall erstatten. Lediglich neue Überhänge dürfen vorgetragen werden, wie das jetzige Urteil deutlich macht. Damit sind eine Reihe von Mitgliedstaaten (z.B. Griechenland, Italien, oder Luxemburg) aufgerufen, ihr Recht zu ändern.

Art. 183 MwStSystRL bietet lediglich die Möglichkeit, Vorsteuererstattungsguthaben auf nächsten Besteuerungszeitraum (bei Monatszahlern auf nächsten Monat, bei Quartalszahlern auf nächstes Quartal, bei Jahreszahlern auf nächstes Jahr) vorzutragen und geringfügige Vorsteuerguthaben nicht zu erstatten (Art. 183 Abs. 2 MwStSystRL).

Außerdem ist es nach geltendem Unionsrecht möglich, den Vorsteuerabzug für den Leistungsbezug von einem Istversteuerer von der Bezahlung der Rechnung abhängig zu machen, da die Ausgangssteuer des Istversteuerers erst im Zeitpunkt der Bezahlung der Leistung entsteht. (vgl. Art. 167 MwStSystRL, wonach das Vor...

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