Leitsatz

1. Die Art. 9, 168 und 169 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach weder die Gesellschafter einer Gesellschaft noch die Gesellschaft selbst ein Recht auf Vorsteuerabzug für Investitionskosten geltend machen dürfen, die vor Gründung und Eintragung dieser Gesellschaft von den Gesellschaftern für die Zwecke und im Hinblick auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft getragen wurden.

2. Die Art. 168 und 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Gesellschaft der Vorsteuerabzug versagt ist, wenn die Rechnung vor Eintragung und mehrwertsteuerlicher Erfassung dieser Gesellschaft auf ihre Gesellschafter ausgestellt wurde.

 

Normenkette

Art. 168, Art. 169, Art. 178 der RL 2006/112/EG

 

Sachverhalt

Die (späteren) Gesellschafter der OHG Polsky Travertyn erwarben ein Grundstück mit Natursteinbruch und brachten es als (steuerfreie) Sacheinlage in die OHG ein. Das polnische FA ließ weder die an die Gesellschafter gerichtete Notarrechnung für ­deren Grundstückserwerb noch die für die Beurkundung der Gründung an die (noch nicht im Handelsregister eingetragene) Gesellschaft zum Vorsteuerabzug zu.

 

Entscheidung

Die wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.

Dem Vorsteuerabzug stand nicht entgegen, dass die Rechnungen auf die Gesellschafter ausgestellt waren, weil die OHG nach polnischem Recht erst nach der Eintragung entsteht. Alle Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug objektiv erfüllt waren, die OHG aus denselben Personen bestand, an die die Rechnung gerichtet war und keine Missbrauchsabsicht vorlag. Letztlich werden so die Vorgründungsbruchteilsgesellschaft und die OHG als ein Steuerpflichtiger behandelt.

 

Hinweis

1. Mit Urteil vom 6.9.2007, V R 16/06 (BFH/NV 2008, 1710) hat der BFH entschieden, dass eine Bruchteilsgemeinschaft zum Vorsteuerabzug aus Errichtungskosten eines Gebäudes nicht berechtigt ist, wenn sie das bebaute Grundstück unentgeltlich an eine OHG überlässt. Zum Vorsteuerabzug der OHG äußert sich die Entscheidung nicht.

2. Leistungsbezüge einer Vorgründungsgesellschaft berechtigen nach Maßgabe der beabsichtigten Tätigkeit der zu gründenden Kapitalgesellschaft zum Vorsteuerabzug, wenn die Vorgründungsgesellschaft selbst keine Umsätze bewirkt. Das ist seit der Entscheidung "Faxworld" (folgend BFH, Urteil vom 15.7.2004, V R 84/99, BFH/NV 2004, 1738, BFHE 207, 67) geklärt.

3. Auch für eine ähnliche Fallgestaltung – Erwerb eines Steinbruchs durch die späteren Gesellschafter zur Sacheinlage in eine OHG – hat der EuGH die Neutralitätskarte gezückt. Weil im polnischen Recht Sacheinlagen in eine OHG von der Mehrwertsteuer befreit sind und eine OHG erst mit ihrer Eintragung im Handelsregister entsteht, hatte das polnische FA weder den Vorsteuerabzug aus Erwerbskosten beim Gesellschafter noch den der Gründungskosten bei der OHG zugelassen. Das sei mit dem Grundsatz der Neutralität der MwSt nicht vereinbar. Jedenfalls der Gesellschaft müsse er möglich sein, wenn die Regelung der Steuerbefreiung der Sacheinlage einen Vorsteuerabzug der Gesellschafter ausschließe.

4. Die bisherige Rechtsprechung zu Gründungssachverhalten, bei denen (spätere) Gesellschafter einzeln oder als Bruchteilsgemeinschaft Gegenstände zur planmäßigen Einbringung in eine Personengesellschaft erwerben (siehe zuvor 1.), wird danach zu überdenken sein.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urtei vom 1.3.2012 – C-280/10 -- Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn P. Granatowicz, M. Wąsiewicz spółka jawna --

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