Rz. 23

Nach § 253 Abs. 4 HGB sind bei Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens – also auch Vorräte – Abschreibungen auf den niedrigeren Börsen- oder Marktpreis am Abschlussstichtag vorzunehmen, wenn dieser unter den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten liegt; ist ein Börsen- und Marktpreis nicht festzustellen, ist auf den "beizulegenden Wert" abzuschreiben.

Dieses Gebot ist eine Pflichtvorschrift, auch bekannt unter dem Begriff "strenges Niederstwertprinzip". Diese Vorschrift gilt für sämtliche Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens; ausgenommen sind Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, die als Grundgeschäfte oder Sicherungsinstrumente zu einer Bewertungseinheit i. S. v. § 254 Satz 1 HGB gehören. Sie unterliegen einzeln nur im Hinblick auf nicht abgesicherte Risiken dem Niederstwertprinzip.[1]

[1] S. Bertram/Kessler, in Betram/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 253 HGB Rz. 278 und 280.

2.2.4.1 Niedrigerer Börsen- oder Marktpreis

 

Rz. 24

§ 253 Abs. 4 Satz 1 HGB spricht nicht vom Börsen- oder Marktpreis, sondern von einem Wert, der sich aus dem Börsen- oder Marktpreis ergibt. Bei Maßgeblichkeit des Beschaffungsmarkts für die Ermittlung des Börsen- oder Marktpreises sind die Anschaffungsnebenkosten in die Bewertung einzubeziehen: Bei Maßgeblichkeit des Absatzmarkts ist der Börsen- oder Marktpreis u. U. um die bei der Veräußerung noch entstehenden Aufwendungen zu kürzen. Dieser so korrigierte Börsen- oder Marktpreis muss – wenn er am Bilanzstichtag niedriger ist als die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten – für die Bewertung der Halb- und Fertigerzeugnisse herangezogen werden.

Für Bestände an Halb- und Fertigerzeugnissen, die auch von dritter Seite hätten bezogen werden können, ist der Börsen- oder Marktpreis am Beschaffungsmarkt zu ermitteln. I. d. R. ist dieser Preis ohne weitere Hinzurechnung anzusetzen.

Für sonstige (Normal-)Bestände an halbfertigen und fertigen Erzeugnissen ist der Börsen- oder Marktpreis am Absatzmarkt anzusetzen. Auch hier sind Kürzungen im Allgemeinen nicht vorzunehmen. Überbestände an Halbfertig- und Fertigerzeugnissen werden grundsätzlich beschaffungs- oder absatzmarktorientiert bewertet. Dem beschaffungsmarktorientierten Börsen- oder Marktpreis sind die Anschaffungsnebenkosten, z. B. Frachten, Versicherung u. a., hinzuzurechnen; Anschaffungskostenminderungen, wie Rabatte, Skonti u. Ä., sind abzusetzen. Vom absatzmarktorientierten Börsen- oder Marktpreis sind noch entstehende Aufwendungen der Fertigung (bei Halberzeugnissen) und des Vertriebs (bei Halb- und Fertigerzeugnissen) abzusetzen.

2.2.4.2 Niedrigerer "beizulegender" Wert

 

Rz. 25

Ist ein Börsen- oder Marktpreis nicht festzustellen, so ist nach § 253 Abs. 4 Satz 2 HGB der "beizulegende Wert" anzusetzen. Dieser Wert ist dem Vermögensgegenstand nach bestmöglicher Schätzung beizulegen; er muss allerdings auch niedriger als die Anschaffungs- oder Herstellungskosten sein.

Bei einer Orientierung nach dem Beschaffungsmarkt ist von den Wiederherstellungs- bzw. Wiederbeschaffungskosten auszugehen. Von diesen sind die sog. "Gängigkeitsabschläge" abzusetzen. Das sind im Wege der Schätzung ermittelte pauschale Bewertungsabschläge, begründet nicht nur mit gesunkenen Wiederbeschaffungskosten oder Verkaufspreisen, sondern auch mit dem Risiko mangelnder Verwertbarkeit. "Unter dem Begriff Gängigkeit versteht man, wie häufig die Ware nachgefragt wird. Mit Hilfe von sog. Gängigkeitsabschlägen sollen Überbestände an Waren erfasst und abgewertet werden. Da der Überbestand nicht in absehbarer Zeit abverkauft werden kann, würde ein fremder Erwerber die dadurch verursachten zusätzlichen Kosten, z. B. Raumkosten, Kosten der Lagerverwaltung, Zinsaufwand, durch einen Preisabschlag honorieren. Dies gilt auch für das Risiko der künftigen technisch-wirtschaftlichen Verwertbarkeit; je länger die Ware bereits gelagert wurde, ohne dass wesentliche Teile hiervon veräußert wurden, desto höher ist die Teilwertabschreibung".[1] In der Praxis findet zur Ermittlung der Gängigkeitsabschläge das sog. Reichweitenverfahren Anwendung;[2] zentrale Bedeutung hat hierbei die Umschlagshäufigkeit der Waren, die sich aus dem Verhältnis des Lagerbestands zu den Lagerabgängen ergibt.

 
Praxis-Beispiel

[3] A ist Direkthändler für eine Automobilfabrik (Herstellerwerk). Außerdem war A als Teileversorgungshändler für andere Autohändler dieser Automarke tätig. Als Direkt- und als Teileversorgungshändler war A verpflichtet, ein ausreichendes Ersatzteillager zu unterhalten, das bestimmten Mindestreichweiten genügte. Die Lagerbestandswerte wurden jeweils vom Herstellerwerk im Rahmen der Jahresplanung festgelegt. Auch war A verpflichtet, sich bei Einführung neuer Fahrzeugmodelle rechtzeitig mit sog. Ersteinrichtersätzen zu bevorraten. Die Ersatzteile wurden den Kunden des A jeweils mit den im Zeitpunkt des Verkaufs geltenden Verkaufspreisen berechnet. Ältere Ersatzteile wurden dementsprechend mit den Preisen abgegeben, die sich aus zwischenzeitlichen Preiserhöhungen ergaben. Zu Preisherabsetzungen bei älteren Ersatzteilen kam es ni...

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