Leitsatz

Zur Auslegung der "Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften" i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL: Ist die Leistung eines außenstehenden Verwalters eines Sondervermögens nur dann hinreichend spezifisch und damit steuerfrei, wenn

  1. er eine Verwaltungs- und nicht nur eine Beratungstätigkeit ausübt oder wenn
  2. sich die Leistung ihrer Art nach aufgrund einer für die Steuerfreiheit nach dieser Bestimmung charakteristischen Besonderheit von anderen Leistungen unterscheidet oder wenn
  3. er aufgrund einer Aufgabenübertragung nach Art. 5g der geänderten RL 85/611/EWG tätig ist?
 

Normenkette

§ 4 Nr. 8 Buchst. h UStG 1999, Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Eine Kapitalanlagegesellschaft (KAG) beauftragte die Klägerin (keine KAG), sie "bei der Verwaltung des Fondsvermögens zu beraten". Die Anlageempfehlungen der Klägerin setzte die KAG – oft innerhalb weniger Minuten – um, soweit kein Verstoß gegen gesetzliche oder sonstige für das Sondervermögen bestehende Anlagegrenzen vorlag. Der KAG verblieb die Letztentscheidung und Letztverantwortung (Vorinstanz: FG Nürnberg, Urteil vom 03.08.2010, 2 K 472/2009, Haufe-Index 2604226).

 

Entscheidung

Die Entscheidung des EuGH ist von großer Bedeutung – ebenso wie die zur Vorlage im Verfahren V R 9/10 (siehe BFH/NV 2011, 544, BFH/PR 2011, 187). Letztere betrifft Leistungen einer Bank an Privatkunden (Anleger), wobei die Bank unter Berücksichtigung der vom Anleger gewählten Strategievariante nach eigenem Ermessen und ohne vorherige Einholung einer weiteren Weisung das Portfolio verwaltet und berechtigt ist, über die Vermögenswerte (Wertpapiere) im Namen und für Rechnung des Anlegers zu verfügen. Angesichts der offenen Rechtsfrage kommt eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht.

 

Hinweis

1.Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL befreit "die Verwaltung von durch die Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften". § 4 Nr. 8 Buchst. h USt (1999–2002)"die Verwaltung von Sondervermögen nach dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und die Verwaltung von Versorgungseinrichtungen i.S.d. Versicherungsaufsichtsgesetzes".

2. Die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) – Investmentfonds und Investmentgesellschaften – betreffende RL 85/611/EWG enthielt (anders als die geänderte RL: umzusetzen bis 13.08.2003) keine Regelungen zur Definition dieser Verwaltungstätigkeit und zur Übertragung eigener Verwaltungsaufgaben auf außenstehende Dritte. Die Neuregelung stellt bestimmte Anforderungen an den Subunternehmer.

Hinsichtlich des nationalen Rechts war im Streitfall noch das KAGG maßgeblich, das – anders als das ab 2004 geltende InvG – keine Regelung zur Auslagerung von Tätigkeiten, insbesondere zur Zulässigkeit der Auslagerung, enthielt.

3. Zum Begriff der "Verwaltung" von Sondervermögen nach Unionsrecht hat der EuGH im Urteil Abbey National entschieden, dass Umsätze befreit sind, wenn sie „ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes sind, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer in Nr. 6 beschriebenen Leistung erfüllt. Daher stellte sich die Frage, ob eine spezifische Leistung eines außenstehenden Verwalters nur vorliegt, wenn er eine verwaltende Tätigkeit ausübt, bei der er selbst Entscheidungen für das Sondervermögen trifft. Sind auch bloße Beratungsleistungen als Verwaltung steuerfrei, ergäben sich Abgrenzungsschwierigkeiten, welche Art von Beratung als spezifisch anzusehen ist.

4. Sind auch Beratungsleistungen hinreichend spezifisch, stellt sich die Frage nach der Berechtigung zu einer Unterscheidung danach, ob die Beratungsleistung für die Geldanlage in Wertpapieren einer Verwaltungsgesellschaft eines Sondervermögens oder gegenüber einer natürlicher Person erbracht wird.

5. Wäre auch die Anlageberatung spezifisch, ist schließlich zweifelhaft, ob die Beurteilung der Beratungsleistung als "spezifisch" für die Verwaltung von Sondervermögen voraussetzt, dass es sich um eine nach der RL 85/611/EWGzulässige Aufgabenübertragung handelt. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet zwar bei der Erhebung der Mehrwertsteuer eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Unsätzen mit Ausnahme der Fälle, in denen jeder Wettbewerb zwischen einem legalen Wirtschaftssektor und einem illegalen Sektor ausgeschlossen ist. Die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH betraf allerdings Glücksspielumsätze und nicht steuerbefreite Um­sätze, die – wie Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL –, dem Zweck dienen, "Kleinanlegern die Geldanlage in Investmentfonds zu erleichtern". Der vom EuGH betonte Aspekt des Anlegerschutzes könnte für die Einschränkung sprechen, nur die erlaubte Geldanlage von der Steuer zu befreien.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 05.05.2011 – V R 51/10

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