Leitsatz

1. Zur Auslegung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 der 6. EG-RL:

Liegt beim Verkauf (Kauf) zahlungsgestörter Forderungen aufgrund der Übernahme von Forderungseinzug und Ausfallrisiko auch dann eine entgeltliche Leistung und eine wirtschaftliche Tätigkeit des Forderungskäufers vor, wenn sich der Kaufpreis

  • nicht nach dem Nennwert der Forderungen unter Vereinbarung eines pauschalen Abschlags für die Übernahme von Forderungseinzug und des Ausfallrisikos bemisst, sondern
  • nach dem für die jeweilige Forderung geschätzten Ausfallrisiko richtet und dem Forderungseinzug im Verhältnis zu dem auf das Ausfallrisiko entfallenden Abschlag nur untergeordnete Bedeutung zukommt?

2. Falls Frage 1 zu bejahen ist, zur Auslegung von Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 der 6. EG-RL:

  1. Ist die Übernahme des Ausfallrisikos durch den Forderungskäufer beim Erwerb zahlungsgestörter Forderungen zu einem erheblich unter dem Nennwert der Forderungen liegenden Kaufpreis als Gewährung einer anderen Sicherheit oder Garantie steuerfrei?
  2. Falls eine steuerfreie Risikoübernahme vorliegt:

Ist der Forderungseinzug als Teil einer einheitlichen Leistung oder als Nebenleistung steuerfrei oder als eigenständige Leistung steuerpflichtig?

3. Falls Frage 1 zu bejahen ist und keine steuerfreie Leistung vorliegt, zur Auslegung von Art. 11 Teil A Buchst. a der 6. EG-RL:

Bestimmt sich das Entgelt für die steuerpflichtige Leistung nach den von den Parteien vermuteten oder nach den tatsächlichen Einziehungskosten?

 

Normenkette

Art. 2, 4, 11 und 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Klägerin erwarb von einer Bank Grundpfandrechte und Forderungen aus gekündigten und fällig gestellten Darlehensverträgen. Der Kaufpreis betrug etwa 50 % des Nennwerts der Forderungen. Aufgrund des BMF-Schreibens im BStBl I 2004, 737 gaben die Vertragsbeteiligten einen (abgezinsten) sog. wirtschaftlichen Nennwert der verkauften Forderungen an. Die Haftung des Verkäufers für die Uneinbringlichkeit der Forderungen (Delkredererisiko) wurde ausdrücklich ausgeschlossen und die Abtretung den Kunden mitgeteilt.

Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 15.02.2008, 1 K 3683/05 U, Haufe-Index 1995000, EFG 2008, 887) teilte die Auffassung der Klägerin, der Erwerb zahlungsgestörter Forderungen sei keine umsatzsteuerpflichtige Leistung an den Verkäufer.

 

Entscheidung

Der BFH setzte das Verfahren aus und legte die im Leitsatz wiedergegebenen Fragen dem EuGH vor.

 

Hinweis

1. Die Vorlage des V. Senats an den EuGH betrifft die Frage, ob der Käufer einer zahlungsgestörten Forderung gegenüber dem Verkäufer der Forderung umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringt. Das bejaht die Finanzverwaltung unter Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 26.06.2003, C-305/01"MKG", BStBl II 2004, 688. Der EuGH hatte in diesem Urteil entschieden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinen Kunden dafür Gebühren berechnet, eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 2 und Art. 4 der 6. EG-RL ausübt, und daher gem. Art. 17 dieser RL zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (erster Leitsatz). Nach dem Wortlaut des EuGH-Urteils MKG reicht es für das Vorliegen einer vom Forderungskäufer erbrachten Leistung aus, dass er den Forderungsverkäufer "von der Einziehung der Forderungen und dem Risiko ihrer Nichterfüllung entlastet". Wird das – wie im Fall MKG – bei einem endgültigen Forderungsverkauf bejaht, kann es schwerlich darauf ankommen, ob der Abschlag als Gebühr bezeichnet wird und wie hoch die kalkulierten Kosten für die Einziehung und wie hoch das Ausfallrisiko bewertet wird.

2. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob die Grundsätze dieser Rechtsprechung auch auf Fälle zahlungsgestörter Forderungen zu übertragen sind. Zwar wird auch hier – ebenso wie beim Factoring – eine Forderung eingezogen und könnte deshalb eine (steuerpflichtige) "Inkassoleistung" vorliegen. Zweifelhaft ist aber, ob stets eine entgeltliche Leistung des Erwerbers an den Verkäufer vorliegt, wenn eine Forderung (endgültig) mit einem Abschlag auf den Nennwert verkauft wird und der Forderungserwerber die (nunmehr ihm gehörende) Forderung einzieht. Würde dann z.B. eine Forderung mit einem Nennwert von 100 EUR aufgrund ihres Ausfallrisikos für 10 % ihres Werts verkauft (Kaufpreis 10 EUR), ergäbe sich bei einem Steuersatz von 19 % eine Steuerschuld von 17,10 EUR (= Differenz zwischen Nennwert und Kaufpreis 90 EUR x 19 %).

3. Zweifelhaft ist auch, ob – eine entgeltliche Leistung des Forderungserwerbers an den Forderungsverkäufer unterstellt – diese Leistung steuerfrei ist oder nicht. Das hängt von der Frage ab, ob die – einheitliche? – Leistung als steuerpflichtiger Forderungseinzug oder als steuerfreie Kreditgewährung oder steuerfreie Garantieleistung zu beurteilen ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 10.12.2009 – V R 18/08

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