Leitsatz

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 56 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 58 EG dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für die Berechnung der Erbschaftsteuer auf einen Nachlass vorsieht, dass die zum Privatvermögen gehörende Beteiligung als Alleingesellschafter an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Kanada mit dem vollen Wert angesetzt wird, während beim Erwerb eines derartigen Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland ein gegenstandsbezogener Freibetrag gewährt und der verbliebene Wert lediglich i.H.v. 65 % berücksichtigt wird?

 

Normenkette

Art. 43, Art. 56 Abs. 1, Art. 57, Art. 58 EG, § 13a ErbStG vor 2009

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres 2007 verstorbenen Vaters (V). Zum Nachlass gehörte u.a. eine Beteiligung des V als Alleingesellschafter an einer kanadischen Kapitalgesellschaft.

Das FA setzte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer fest und berücksichtigte dabei den Wert der Be­teiligung des V an der Kapitalgesellschaft mit 1 142 115 EUR.

Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin für den Erwerb dieser Beteiligung die Berücksichtigung des in § 13a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ErbStG vorgesehenen Freibetrags von 225 000 EUR und des verminderten Wertansatzes nach § 13a Abs. 2 ErbStG begehrte, blieben erfolglos.

Das FG (FG Bremen vom 28.10.2009, 3 K 34/09 (1), Haufe-Index 2249708, EFG 2010, 66) vertrat die Auffassung, die in § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG vorgesehene Beschränkung der Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG auf den Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat, sei nicht am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV), sondern nur am Maßstab der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG, jetzt Art. 49 AEUV) zu prüfen. Wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat eine Beteiligung halte, die es ihm ermögliche, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sei nur der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, nicht aber derjenige der Kapitalverkehrsfreiheit betroffen. So verhalte es sich in den Fällen des § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG. Die in dieser Vorschrift geforderte Mindestbeteiligung des Erblassers oder Schenkers am Nennkapital der Kapitalgesellschaft von mehr als einem Viertel gewähre nämlich solche Einflussmöglichkeiten auf die Kapitalgesellschaft. Die Niederlassungsfreiheit gelte nicht für die Niederlassung in Drittstaaten.

 

Entscheidung

Der BFH hingegen hält demgegenüber die Kapitalverkehrsfreiheit für einschlägig und legt angesichts seiner entsprechenden europarechtlichen Zweifel dem EuGH die im Leitsatz wiedergegebene Frage zur Auslegung von Art. 56 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 58 EG zur Vorabentscheidung vor.

 

Hinweis

1. Der Freibetrag von 225 000 EUR nach § 13a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ErbStG (vor 2009) und der verminderte Wertansatz nach § 13a Abs. 2 ErbStG (vor 2009) gelten nach § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG für Anteile an einer Kapitalgesellschaft, wenn die Kapitalgesellschaft zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Erblasser oder Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar beteiligt war. Zwar ordnete die Finanzverwaltung im Hinblick auf das EuGH-Urteil in der Sache Jäger (Urteil vom 17.01.2008, C-256/06, BFH/NV Beilage 2 2008, 120) an, die Steuervergünstigungen des § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG (vor 2009) u.a. auch auf Anteile an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten anzuwenden. Dies gilt aber nicht für Kapitalgesellschaften mit Sitz in Drittstaaten. Auch für Zeiträume ab 2009 ist nach § 13a und b des ErbStG i.d.F. des ErbStRG der Erwerb von im Privatvermögen befindlichen Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in Drittstaaten nicht begünstigt.

2. Die spannende Frage geht nun dahin, ob diese Rechtslage mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

a) Während sich das FG im Streitfall vorrangig auf die Niederlassungsfreiheit gestützt hatte, hat der BFH erhebliche Zweifel, ob nicht die Kapitalverkehrsfreiheit für den betroffenen Erbvorgang einschlägig ist. Immerhin fällt die steuerliche Behandlung von Erbschaften nach ständiger EuGH-Rechtsprechung unter die Vertragsbestimmungen über den Kapitalverkehr, soweit wenigstens ein wesentliches Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist. In entsprechenden Fällen hat daher der EuGH die Prüfung der Besteuerung grenzüberschreitender Erbschaften am Maßstab der Art. 39 und 43 EG als nicht erforderlich angesehen. Hinzu kommt, dass aus Sicht des BFH eine Erbschaft auch insoweit in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt, als sich darin Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft befinden, die es deren Inhaber ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die En...

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