Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann der Bescheid jederzeit – also auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit – uneingeschränkt aufgehoben oder – in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, auch mehrmals[1] – geändert werden. Allerdings sind die Bindung an eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung und die Grundsätze des Vertrauensschutzes[2] zu beachten.[3]

 
Praxis-Beispiel

Beispiel 1
Änderung der Rechtsprechung

Das Finanzamt hat eine Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Danach ergeht eine BFH-Entscheidung, wonach bestimmte Werbungskosten, die auch in dem Einkommensteuerbescheid berücksichtigt sind, entgegen früherer Rechtsprechung nicht mehr abzugsfähig sind. Diese Änderung der Rechtsprechung zuungunsten des Steuerpflichtigen darf das Finanzamt aufgrund § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO nicht mehr berücksichtigen.[4] Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich die Rechtsprechung des BFH zugunsten des Steuerpflichtigen ändert (oder wenn das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit einer steuerrechtlichen Vorschrift zugunsten des Steuerpflichtigen feststellt).

 
Praxis-Beispiel

Beispiel 2
Neue Rechtsprechung

Das Finanzamt hat eine Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Danach ergeht erstmals eine BFH-Entscheidung zur Frage der Abzugsfähigkeit von Werbungskosten, wonach die Aufwendungen nicht als Werbungskosten abzugsfähig sind. Hier liegt kein Fall des Vertrauensschutzes nach § 176 AO vor; das Finanzamt kann bzw. muss die Nichtabzugsfähigkeit nunmehr berücksichtigen.

 
Praxis-Beispiel

Beispiel 3
Bindung nach Klage

Ein Steuerpflichtiger hat gegen einen Einkommensteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben und die Berücksichtigung bestimmter Werbungskosten beantragt. Durch rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts wurde die Klage abgewiesen mit der Begründung, nach § 9 EStG handle es sich bei den Aufwendungen des Klägers nicht um Werbungskosten. Bei einer späteren endgültigen Veranlagung hat das Urteil im Umfang des Streitgegenstands Bindungswirkung.[5] Die Frage der Abzugsfähigkeit kann im Rahmen des § 164 Abs. 2 AO nicht noch einmal überprüft oder gar anders entschieden werden. Dies würde selbstverständlich auch für den umgekehrten Fall der Klagestattgabe gelten.[6]

 
Praxis-Beispiel

Beispiel 4
Keine Bindung nach Einspruchsentscheidung

Das Finanzamt hat im Einkommensteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und in der auf den Einspruch hin ergangenen Einspruchsentscheidung bestimmte Aufwendungen nicht als Werbungskosten berücksichtigt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Klage wurde nicht erhoben. Hier besteht keine Bindungswirkung. Der Steuerpflichtige kann gegen den späteren Änderungsbescheid oder gegen den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nochmals wegen der Nichtberücksichtigung derselben Werbungskosten Einspruch einlegen und Klage erheben.

Die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben stehen dagegen der Änderung eines unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheids grundsätzlich nicht entgegen.[7]

 
Praxis-Beispiel

Beispiel 5
Keine Bindung nach Abhilfe

Ein Steuerpflichtiger hat gegen einen Einkommensteuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung wegen der Nichtberücksichtigung von Werbungskosten Einspruch eingelegt. Das Finanzamt hilft dem Einspruch durch einen Änderungsbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung ab. Später ändert es seine Auffassung und berücksichtigt die Werbungskosten im Änderungsbescheid nach § 164 AO nicht mehr. Da auch der Änderungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, hat er auch bezüglich der streitigen Werbungskosten keine materielle Bestandskraft. Dass das Finanzamt den Bescheid aufgrund eines Einspruchs geändert hat, ist dabei unerheblich. Der Grundsatz von Treu und Glauben steht einer nochmaligen Änderung nicht entgegen. Der Vorbehalt der Nachprüfung umfasst stets den gesamten Bescheid. Der Steuerpflichtige kann und darf sich nicht darauf verlassen, dass das Finanzamt seine Rechtsauffassung nicht mehr ändern wird.[8] Dies gilt selbst dann, wenn das Finanzamt während eines Klageverfahrens von sich aus dem Begehren des Steuerpflichtigen entspricht und einen Abhilfebescheid erlässt.[9] Mangels einer gerichtlichen Entscheidung kann in diesem Fall – anders als im obigen Beispiel 3 – keine Bindungswirkung eintreten.

Ein unter Vorbehalt der Nachprüfung stehender Steuerbescheid kann grundsätzlich auch aufgrund von Tatsachen geändert werden, die bereits bei Erlass des Bescheids bekannt waren. Nur wenn die Voraussetzungen einer bindenden Zusage vorliegen, kann sich ein Steuerpflichtiger gegenüber einer Änderung nach § 164 Abs. 2 AO auf Vertrauensschutz berufen.[10] Eine Bindungswirkung aufgrund von Zusagen des Finanzamts ist in folgenden Bereichen gegeben: verbindliche – gebührenpflichtige – Auskunft vor Erlass eines Steuerbescheids[11], verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung[12], Lohnsteueranrufungsauskunft[13] sowie tatsächliche Verständigung.[14]

Die...

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