Leitsatz

1. Unter einem "bestimmten Sachverhalt" i.S.v. § 174 Abs. 3 S. 1 AO ist der einzelne Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft; darunter fällt nicht nur die einzelne steuererhebliche Tatsache oder das einzelne Merkmal, sondern auch der einheitliche, für die Besteuerung maßgebliche Sachverhaltskomplex.

2. Ging das FA anlässlich der Beendigung der betrieblichen Nutzung eines vom Kommanditisten einer KG überlassenen Grundstücks und dessen Übertragung auf eine GmbH & Co. GbR – nach späterer Erkenntnis rechtsirrig – davon aus, dass die Besteuerung stiller Reserven zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen könne, so scheidet die Änderung eines gegenüber der KG ergangenen bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 174 Abs. 3 AO aus. Die Umstände, die zu einer späteren Aufdeckung stiller Reserven hätten führen können, sind unbestimmt und gehören nicht zu dem Sachverhalt, der rechtsirrtümlich nicht als Entnahme aus dem Sonderbetriebsvermögen des Kommanditisten gewürdigt worden ist.

 

Normenkette

§ 174 Abs. 3, § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO

 

Sachverhalt

Eine KG hatte das FA 1994 um Auskunft gebeten, ob ein nicht mehr für den Betrieb benötigtes Grundstück aus dem Sonderbetriebsvermögen der Kommanditistin ohne Aufdeckung stiller Reserven auf eine noch zu gründende GmbH & Co. GbR (mbH) übertragen werden könne. Das FA erteilte im November 1995 eine positive Auskunft. Daraufhin wurde im Dezember 1995 eine GmbH & Co. GbR "mit Haftungsbeschränkung wie eine GmbH & Co. KG" gegründet, in die das Grundstück zum 01.01.1996 eingebracht wurde. Das FA erfasste bei der Gewinnfeststellung 1995 der KG keinen Entnahmegewinn für das Grundstück.

Nachdem nach einer Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für den Gewinnfeststellungsbescheid aufgehoben worden war, erließ das FA unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 18.07.2000 (BStBl I 2000, 1198) einen nach § 174 Abs. 3 AO geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 1995 und erfasste darin zusätzliche Sonderbetriebseinnahmen in Höhe eines geschätzten Entnahmegewinns für das Grundstück. Auf Klage der KG hob das FG den Änderungsbescheid auf (FG Münster, Urteil vom 10.05.2007, 6 K 2818/03 F, Haufe-Index 1784812, EFG 2007, 1478).

 

Entscheidung

Der BFH teilte die Auffassung des FG. Es liege kein negativer Widerstreit in Bezug auf die Übertragung des Grundstücks vor. Das FA habe diesen Sachverhalt nicht in einem anderen Bescheid, sondern einen anderen Sachverhalt bei späterer Realisierung der stillen Reserven besteuern wollen.

 

Hinweis

1. Das Urteil markiert zusammen mit zwei nicht amtlich veröffentlichten Parallelentscheidungen (IV R 46/07 und IV R 55/07) den ertragsteuerlichen Abschluss der Irrungen und Wirrungen um die GmbH & Co. GbR. Bis zu dem Urteil des BGH vom 27.09.1999, II ZR 371/98 (BGHZ 142, 315) hatte man es für möglich gehalten, durch einen Zusatz im Namen einer GbR eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen zu erreichen und eine persönliche Haftung der Gesellschafter auszuschließen. Diese Erwartung wurde durch das Urteil des BGH zerstört; eine Haftungsbeschränkung ist danach nur durch einzelvertragliche Vereinbarung möglich.

2. Aus ertragsteuerlicher Sicht hätte eine GmbH & Co. GbR mbH eine gewerblich geprägte Gesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG sein können. Dann hätte man in einer solchen Gesellschaft auch stille Reserven "parken" können. Derartige Gestaltungen scheinen vielfach vorgenommen worden zu sein. Im hiesigen Urteilsfall hatte das FA sogar im Weg verbindlicher Auskunft seinen ausdrücklichen "Segen" dazu gegeben.

Seit Klärung der Zivilrechtslage steht aber nun fest, dass die Gesellschafter einer GbR mbH keiner Haftungsbeschränkung unterliegen, sodass auch ertragsteuerlich keine gewerblich geprägte Gesellschaft angenommen werden kann. Die GbR ist vielmehr – sofern sie nicht gewerbliche Tätigkeiten entfaltet – eine vermögensverwaltende Gesellschaft, ihr Gesamthandsvermögen ist kein Betriebsvermögen.

3. Werden auf eine solche Gesellschaft Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens übertragen, handelt es sich um eine Entnahme, die zur Besteuerung der stillen Reserven führen muss. Wenn nun seinerzeit ein FA in der Annahme, die GbR habe ein Betriebsvermögen, eine Besteuerung stiller Reserven nicht vollzogen hat, bleiben diese endgültig unbesteuert, es sei denn, man könnte den Übertragungsvorgang nachträglich noch besteuern. Diese Möglichkeit glaubte die Finanzverwaltung noch zu haben und wollte sich dafür auf § 174 Abs. 3 AO stützen (BMF, Schreiben vom 18.07.2000, BStBl I 2000, 1198).

Der BFH folgt dieser Auslegung des § 174 Abs. 3 AO jedoch nicht. Denn die Vorschrift will die Nichtbesteuerung eines bestimmten Sachverhaltskomplexesverhindern, den das FA für besteuerungsrelevant hält, ihn aber erkennbar in einem anderen Bescheid berücksichtigen will. Die Übertragung auf eine GmbH & Co. GbR mbH hielt das FA nach damaliger Sicht aber gerade nicht für besteuerungsrelevant und unterwarf sie deshalb nicht der Besteuerung. Die dabei bestehende Erwa...

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