In der Überseering-Entscheidung des EuGH[1] aus dem November 2002 ging es um folgenden Ausgangssachverhalt:

Die Überseering BV, eine in den Niederlanden eingetragene Kapitalgesellschaft, machte Ansprüche auf Mängelbeseitigung bei der Ausführung von Bauarbeiten gegen eine deutsche Gesellschaft geltend. Die niederländische Kapitalgesellschaft hatte ein Garagengebäude sowie ein dazugehöriges Motel saniert und hierbei die deutsche GmbH mit Malerarbeiten beauftragt. Da diese mangelhaft ausgeführt worden sein sollen, wurde schließlich die deutsche GmbH auf ca. 1,2 Millionen DM für Beseitigungskosten sowie Schadenersatz verklagt. Die Überseering BV unterlag in zwei Instanzen, da der niederländischen Kapitalgesellschaft die Rechtsfähigkeit abgesprochen wurde.

Der tatsächliche Sitz der Gesellschaft sei Deutschland, die Gesellschaft sei 1990 von zwei Personen in der Rechtsform der BV (Besloten Vennootschap) gegründet worden. Im Jahre 1994 bzw. 1995 verkauften die damaligen Gesellschafter ihre Geschäftsanteile nach Deutschland, seit diesem Zeitpunkt sei die Gesellschaft faktisch von Deutschland aus geführt worden, dort befand sich die Verwaltung und die Geschäftsführung, ein Bezug zu den Niederlanden existierte nicht mehr. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts wurde Revision eingelegt, so dass der Bundesgerichtshof über die Frage zu entscheiden hatte.

Da bereits seit Jahren rege diskutiert wurde, ob die in Deutschland praktizierte Sitztheorie gegen Europarecht verstößt, setzte der BGH das Verfahren aus und holte eine sogenannte Vorabentscheidung des EuGH ein. Der EuGH entschieden, dass es gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, wenn einer Gesellschaft in der genannten Konstellation die Rechts- und damit die Parteifähigkeit abgesprochen wird.[2]

 
Wichtig

Begründung des EuGH: Bei wirksamer Gründung in einem Mitgliedstaat lässt die tatsächliche Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat weder die Rechts- noch die Parteifähigkeit entfallen.

Die Gesellschaft macht – so der EuGH – durch die Verlegung des Sitzes lediglich von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch. In dem Mitgliedstaat der EU, in den der Sitz effektiv verlegt werde, muss die Rechts- und damit die Parteifähigkeit geachtet werden, die diese Gesellschaft nach dem Recht des Gründungsstaates besitze.

Die Entscheidung des EuGH kam nicht überraschend, ihr vorausgegangen war bereits die sogenannte Centros-Entscheidung aus dem Jahre 1999,[3] in der das höchste europäische Gericht eine Praxis dänischer Gerichte für europarechtswidrig einstufte, durch die einer englischen Ltd. ohne eigenen Geschäftsbetrieb in England die Gründung einer Zweigniederlassung im Königreich Dänemark untersagt werden sollte. In der Inspire-Entscheidung vom 30.9.2003 hat der EuGH seine Rechtsauffassung bestätigt.[4]

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