5.1.1 Funktionsanalyse im Rahmen der Produktion

 

Rz. 54

Ausübung der Produktionsfunktion. Die Produktionsfunktion kann durch ein verbundenes Unternehmen prinzipiell in den folgenden Grundformen ausgeübt werden:

  • Produktion durch einen Eigenproduzenten,
  • Produktion durch einen Lohnfertiger,
  • Produktion durch eine Produktionseinheit, deren Funktion zwischen diesen beiden Polen liegt.

Der Einordnung eines produzierenden verbundenen Unternehmens in die Kategorien Eigenproduzent oder Lohnfertiger kommt im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung eine große Bedeutung zu. Während die Eigenproduktion mit der Übernahme eigener Marktchancen und -risiken verbunden ist, ist die Lohnfertigung als nur eingeschränkte Funktionsausübung in Form einer Dienstleistung anzusehen.[1] Hierbei ist zu berücksichtigen, dass fremde Lohnfertiger neben der Ausführung eines vorgegebenen Fertigungsschritts häufig eine Reihe weiterer Funktionen übernehmen. Das einem Lohnfertiger zugestandene Entgelt (Rz. 62) wird dementsprechend zwischen fremden Dritten vom Umfang der ausgeübten Funktionen, der getragenen Risiken und der eingesetzten (immateriellen) Wirtschaftsgüter abhängen.

 

Rz. 55

Merkmale eines Lohnfertigers. Ein Lohnfertiger ist durch folgende wesentlichen Merkmale gekennzeichnet:[2]

  • Beschränkung der Produktion auf einzelne Teile, einzelne Bearbeitungsschritte oder Großserienprodukte;
  • keine oder geringe unternehmerische Dispositionsfreiheiten; vielmehr bestimmt der Auftraggeber über die Produktpolitik und die Fertigungsschritte des Lohnfertigers;
  • keine eigene Forschung und Entwicklung und kein Eigentum an den maßgeblichen immateriellen Vermögenswerten; vielmehr wird die Technologie vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt;
  • nur eingeschränkte eigene Beschaffungsfunktion, da die notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, aber auch ganz oder teilweise die Produktionsanlagen vom Auftraggeber (kostenlos) beigestellt werden;
  • geringe Lagerhaltung, da häufig "Just-in-time"-Konzeption;
  • kein eigener Vertrieb;
  • kein bzw. ein nur geringes Absatz- und Preisrisiko, da der Auftraggeber langfristig den Großteil seiner Produktion abnimmt;
  • geringe Beschaffungs- und Lagerrisiken;
  • keine bzw. allenfalls geringe Forschungs- und Entwicklungsrisiken.
 

Rz. 56

Merkmale eines Eigenproduzenten. Im Gegensatz zum Lohnfertiger verfügt der Eigenproduzent über die volle Dispositionsbefugnis der Produktion. In der Regel ist er daher auch als "Entrepreneur" bzw. "Strategieträger" in Bezug auf das entsprechende Produkt bzw. die entsprechende Produktgruppe anzusehen,[3] Denn der Eigenproduzent trifft die wesentlichen strategischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungen[4] und trägt infolgedessen alle Marktchancen und Marktrisiken der betrachteten Produktgruppe.[5] Ein Eigenproduzent ist durch folgende wesentlichen Merkmale gekennzeichnet:[6]

  • Ausübung der Produktionsfunktionen, z. B. Fertigung, Produktentwicklung, Produktauswahl, Einkauf, Lagerhaltung, Forschung und Entwicklung usw., sowie die Vermarktungsfunktionen, z. B. Werbung, Vertrieb usw.;
  • Innehaben der entsprechenden Entscheidungskompetenzen;
  • Besitz der wesentlichen Betriebsgrundlagen (materielle und insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter);
  • Übernahme der mit der Ausübung der Funktionen verbundenen Chancen und Risiken, z. B. Marktrisiko, Qualitätsrisiko, Absatzrisiko usw.
[1] So ausdrücklich Tz. 7.40 OECD-Leitlinien 2022.
[2] Vgl. BMF, Schreiben v. 13.10.2010, IV B 5 – S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl 2010 I S. 774, Rz. 204; Baumhoff/Liebchen, in Mössner/Lampert u. a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 6. Aufl. 2023, Rz. 4.353  ff. m. w. N.
[3] Vgl. BMF, Schreiben v. 14.7.2021, IV B 5 – S 1341/19/10017 :001 – DOK 2021/0770780, BStBl 2021 I S. 1098, Anlage 2 (Glossar), Stichwort "Strategieträger".
[4] Wie z. B. die Produkt- und Distributionspolitik sowie übergeordnete Aspekte der Preis- und Kommunikationspolitik.
[5] Vgl. Borstell, in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. 2011, S. 524 ff.; Baumhoff, IStR 2003, S. 5 ff.; Baumhoff, in Baumhoff/Dücker/Köhler, Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, FS Krawitz, 2010, S. 28 ff.
[6] Vgl. BMF, Schreiben v. 13.10.2010, IV B 5 – S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl 2010 I S. 774, Rz. 201; Baumhoff/Liebchen, in Mössner/Lampert u. a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 6. Aufl. 2023, Rz. 4.357.

5.1.2 Verrechnungspreisermittlung

 

Rz. 57

Verrechnungspreise bei Lohnfertigern. Ist eine Produktionsgesellschaft als Lohnfertiger zu qualifizieren, ist zunächst zu überprüfen, ob die Verrechnungspreise auf Grundlage der Preisvergleichsmethode ermittelt werden können, d. h. durch Feststellung uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichspreise im Rahmen eines inneren (Rz. 26) oder äußeren Preisvergleichs (Rz. 27). In der Verrechnungspreispraxis sind allerdings Vergleichspreise für gleiche oder vergleichbare Produktionsdienstleistungen nur in Ausnahmefällen bestimmbar. Insofern kommt regelmäßig die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 32  ff.) zur Anwendung. Ferner kä...

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