Kommentar

Rückstellungen wegen drohender Verluste aus schwebenden Geschäften sind handels- und steuerrechtlich zu passivieren ( § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB , § 5 EStG in der bis 1996 geltenden Fassung).

Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften sind in der Bilanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Ein Bilanzausweis ist indessen geboten, wenn aus dem Geschäft ein Verlust droht, unabhängig davon, ob das Geschäft auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet ist oder ein Dauerschuldverhältnis (im Ausgangsfall eine Vermietung) betrifft.

Die Ansprüche und Verbindlichkeiten des schwebenden Geschäfts sind für Zwecke der Rückstellungsbildung notwendigerweise miteinander zu saldieren (Ausnahme vom Saldierungsverbot des § 246 Abs. 2 HGB ). In den Kompensationsbereich sind auch wirtschaftliche Erfolge einzubeziehen, z. B. die Aussicht auf höhere Umsätze und Gewinne aus einem erweiterten Kundenkreis, unabhängig davon, ob der Erfolg zu einem aktivierbaren Wirtschaftsgut führt oder nicht.

Der Vorteil (höherer Umsatz), den ein Apotheker dadurch erlangt, daß er Praxisräume an einen gegenüber seiner Apotheke praktizierenden Arzt mit Verlust weitervermietet, steht grundsätzlich der Bildung einer Verlustrückstellung entgegen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 23.06.1997, GrS 2/93

Anmerkung:

Der Große Senat beantwortet mit dem vorstehenden Beschluß die Frage 1 des X. Senats in dem Vorlagebeschluß vom 26. 5. 1993, X R 72/90 (BStBl 1993 II S. 855). Die Frage 2 des X. Senats ging dahin, ob Verlustrückstellungen abzuzinsen seien. Auf diese Frage ist der Große Senat nicht eingegangen, weil nach seiner Auffassung keine Rückstellung zu bilden ist.

Der Große Senat zieht den Kompensationsbereich weiter, als es der vorlegende Senat wünschte. Dieser wollte den Verpflichtungsüberschuß, wie er sich im Ausgangsfall unzweifelhaft ergab (Weitervermietung von Praxisräumen an einen Arzt zur Hälfte der Anmietungskosten), nur mit sicheren Vorteilen saldieren. Er sah in der möglichen Verbesserung der Ertragslage des Apothekers wegen der Aussicht, daß die Patienten des Arztes ihre Rezepte größtenteils sogleich zu der auf der anderen Straßenseite befindlichen Apotheke des Steuerpflichtigen tragen würden, als zu vage an. Demgegenüber hat der Große Senat diesen wirtschaftlichen Vorteil „als Folge der Gegenleistung des Arztes für die Überlassung der Mieträume” und als kompensationfähig angesehen.

Man mag bedauern, daß sich der reine Gläubigerschutzgedanke des vorlegenden Senats nicht durchgesetzt hat. Die Entscheidung des Großen Senats ist hinzunehmen, läßt aber einige Fragen offen. Wie dargelegt, bleibt die Abzinsungsfrage in der Schwebe. Auch hat sich der Große Senat so dicht am Ausgangsfall eines Apothekers mit nahegelegener Arztpraxis gehalten, daß nicht abstrakt gesagt werden kann, welche „Folgevorteile” kompensationsfähig sind. Beispiel: Ist die Rechtsprechung des Großen Senats auch auf ein Autozulieferwerk anzuwenden, dem das belieferte Automobilfabrikationsunternehmen einen verlustträchtigen Liefervertrag hinsichtlich eines bestimmten Autoteils aufzwingt? Hierzu wird es weiterer Rechtsprechung bedürfen.

Unklar bleibt auch folgendes: Der vorlegende Senat hatte sich gegen die Rechtsprechung des I. Senats gewandt, der selbst die (ideelle) Ansehenserhöhung, die eine überproportionale Ausbildung einem Unternehmen in der Öffentlichkeit verschafft, in den Kompensationsbereich einbezogen hatte (BFH, Urteil v. 3. 2. 1993, I R 37/91, BStBl 1993 II S.441). Das letztgenannte Urteil erwähnte der Große Senat lediglich in dem Zusammenhang, daß ein nichtaktivierungsfähiger Vorteil kompensiert werden kann. Ob der Große Senat aber auch die „Ansehenserhöhung” als kompensierbaren Vorteil ansieht, wird weder positiv noch negativ ersichtlich.

Ein Strich des Gesetzgebers macht Bibliotheken zur Makulatur! Dieser Satz gilt auch gegenüber der Rechtsprechung. Nach § 5 Abs. 4a EStG , § 52 Abs. 6a EStG i. d. F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform dürfen ab 31. 12. 1997 Verlustrückstellungen steuerrechtlich überhaupt nicht mehr gebildet werden. Diese Regelung, nach der künftig nur noch Verbindlichkeitsrückstellungen passivierbar sind, macht, sollte sie verfassungsgemäß sein, selbst den taufrischen Beschluß des Großen Senats und alle Bemühungen in Rechtsprechung und im Schrifttum um die Bestimmung des Kompensationsbereichs der Verlustrückstellung hinfällig.

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