Leitsatz

1. Ob eine gesetzlich geschuldete Steuer i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorliegt, bestimmt sich unter Berücksichtigung des Unionsrechts.

2. Sieht das nationale Recht für eine Leistung den ermäßigten Steuersatz vor, während sie nach dem Unionsrecht dem Regelsteuersatz unterliegt, kann sich der zum Vorsteuerabzug berechtigte Leistungsempfänger auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts berufen und bei Vorliegen der weiteren, z.B. rechnungsmäßigen, Voraussetzungen den Vorsteuerabzug nach dem für ihn günstigeren Regelsteuersatz in Anspruch nehmen.

 

Normenkette

§ 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. der Anlage 2 Nr. 1 Buchst. a, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, §§ 68, 127 FGO, Art. 98 i.V.m. Anhang III Nr. 1 MwStSystRL

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb aufgrund eines Mietkaufvertrages mit einer Mietzeit von 48 Monaten, beginnend ab 1. August 2011, ein Springpferd. Die Gesamtmietforderung belief sich auf 77.645,52 EUR zzgl. einer nach dem Regelsteuersatz berechneten Umsatzsteuer von 14.752,65 EUR. Der Kläger machte den Vorsteuerabzug aus der Lieferung des Pferdes geltend. Demgegenüber ging das FA davon aus, dass der Vorsteuerabzug nur auf der Grundlage des ermäßigten Steuersatzes in Höhe von 5.435,19 EUR anzuerkennen sei. Einspruch und Klage zum FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 4.10.2012, 16 K 193/12, Haufe-Index 4720252) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf die Revision des Klägers auf und verwies die Sache an das FG zurück. Für den Kläger sei es als Abnehmer günstiger, den Vorsteuerabzug nach dem Regelsteuersatz entsprechend dem Unionsrecht in Anspruch zu nehmen. Im zweiten Rechtsgang sei allerdings zu klären, ob der Mietkauf des Pferdes umsatzsteuerrechtlich zu einer bereits mit der Übergabe bewirkten Lieferung oder zu einer sonstigen Leistung geführt hat, die mietähnlich nur zeitabschnittsweise erbracht wird und auch nur insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigt.

 

Hinweis

1. Zum Vorsteuerabzug berechtigt nur die Steuer, die nicht nur in der Rechnung ausgewiesen ist, sondern für die abgerechnete Leistung auch gesetzlich geschuldet wird (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG).

2. Weichen nationales Recht und Unionsrecht voneinander ab, ist fraglich, wonach sich das gesetzliche Schulden der Steuer bestimmt. Diese Frage konnte sich z.B. für die Lieferung von Springpferden stellen.

a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 1 Buchst. a a.F. galt der ermäßigte Steuersatz für "Pferde, einschließlich reinrassiger Zuchttiere, ausgenommen Wildpferde" und damit auch für die Lieferung von Springpferden.
b) Demgegenüber unterlag und unterliegt die Lieferung von Springpferden nach dem Unionsrecht dem Regelsteuersatz. Die Mitgliedstaaten sind zwar berechtigt, die Lieferung lebender Tiere nach Art. 98 MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 1 zu dieser Richtlinie ermäßigt zu besteuern. Dies gilt nach dem EuGH-Urteil vom 12.5.2011, C-453/09, Kommission/Deutschland (Slg. 2011, I-74 Rdnr. 45), aber nur für die "Tiere …, die gewöhnlich und allgemein dafür bestimmt sind, in die menschliche oder tierische Nahrungskette zu gelangen" und daher nicht für Springpferde.

3. Erteilt der Verkäufer für die Lieferung eines Springpferdes eine Rechnung auf der Grundlage des Regelsteuersatzes und damit im Widerspruch zum nationalen Recht, aber in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht, stellt sich für den Abnehmer die Frage, ob er im Hinblick auf das Erfordernis der gesetzlich geschuldeten Steuer nur eingeschränkt oder voll zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

a) Unter Beachtung der EuGH-Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass die nationalen Gerichte bei einem Widerspruch zwischen den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts und den Bestimmungen des Unionsrechts gehalten sind, für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lassen, ohne dass die vorherige Beseitigung dieser Vorschrift auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragt oder abgewartet werden müsste. Es ist alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die ein Hindernis für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts bilden. Dementsprechend kann sich der Steuerpflichtige auf einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber richtlinienwidrigen Regelungen des nationalen Rechts berufen.
b) Somit kann bei Widersprüchen zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht die gesetzlich geschuldete Steuer nicht ausschließlich nach nationalem Recht bestimmt werden. Zumindest in den Fällen, in denen das Unionsrecht für den Steuerpflichtigen günstiger ist, richtet sich das Vorliegen einer gesetzlich geschuldeten Steuer i.S.v. § 15 UStG nach dem Unionsrecht.
c) Ob der Anwendungsvorrang des Unionsrechts für den Steuerpflichtigen günstiger ist, bestimmt sich nach der sich für den Unternehmer ergebenden Steuerschuld.

Diese verringert sich zum einen ...

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