Leitsatz

Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003 insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 sowie Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als hierdurch für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nicht selbstständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem DBA vereinbarte Freistellung der Einkünfte (hier: nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 i.V.m. dem dazu ergangenen Zustimmungsgesetz vom 27.11.1989) bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt wird, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.

 

Normenkette

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002, Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 25

 

Sachverhalt

Im Streitfall klagte der in Deutschland wohnende und unbeschränkt steuerpflichtige Geschäftsführer und Arbeitnehmer einer inländischen GmbH, der für die Gesellschaft in der Türkei gearbeitet hatte. Er beanspruchte, mit seinem Arbeitslohn aus dieser Tätigkeit in Deutschland steuerbefreit zu werden, weil das Besteuerungsrecht hierfür nach dem DBA-Türkei nicht Deutschland, sondern der Türkei gebühre. Das FA berief sich indessen auf § 50d Abs. 8 EStG. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er in der Türkei entsprechende ESt gezahlt oder dass die Türkei auf das ihr zustehende Besteuerungsrecht verzichtet habe. Auf die abkommensrechtliche Freistellung komme es daher nicht an.

Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.6.2009, 6 K 1415/09, Haufe-Index 2187069, EFG 2009, 1649).

 

Entscheidung

Der BFH sieht das genauso, was die "einfachrechtliche" Lösung des Falles anbelangt: Wegen § 50d Abs. 8 EStG und des vom Kläger nicht erbrachten Besteuerungsnachweises aus der Türkei bliebe nichts anderes übrig, als die Klage abzuweisen. Indessen: § 50d Abs. 8 EStG verstoße zur Überzeugung des Gerichts gegen Verfassungsrecht und deswegen sei das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen.

 

Hinweis

1. Seit langem wurde sie erwartet (und je nach Betrachter erhofft oder auch "erfürchtet"). Wiederholt hat der BFH in mystisch-dunkel anmutenden "Bedenken" sein verfassungsrechtliches Unbehagen angedeutet.

Nun aber gibt es sie endlich und nun liegt sie endlich auf dem Tisch: Die Normenkontrollanrufung an das BVerfG, um die völker- und verfassungsrechtlichen "Wirkungen" eines sog. Treaty override aufzuspüren und eine (hoffentlich) letztverbindliche und letzte Antwort des Verfassungsgerichts zu dieser seit langem schwelenden Frage zu erhalten. Der BFH hat angesichts der vielfachen gewichtigen Stimmen die dafür notwendige Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit gefunden, um die Vorlage bewerkstelligen zu dürfen. Das ist gut so und dient gewissermaßen der "Rechtshygiene", weil andernfalls damit zu rechnen ist, dass die Diskussion bis zum St. Nimmerleinstag weitergeführt, jedoch nie "wirklich" beendet werden wird.

Wie das BVerfG denn dann im Ergebnis dermal einst entscheiden wird – ob pro oder contra Treaty override – bleibt in Anbetracht dieser erhofften abschließenden Klärung letzten Endes (fast schon) egal.

2. In der Sache soll hier nicht all das wiederholt werden, was an Argumenten seit geraumer Zeit vorgebracht wird. Nur so viel:

Konkreter Hintergrund dieses Vorlagebeschlusses ist die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG. Danach wird für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nicht selbstständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem DBA vereinbarte Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der steuerpflichtige Arbeitnehmer nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Das Gesetz setzt sich unter diesen Voraussetzungen im Ergebnis einseitig über die völkerrechtlich vereinbarte Freistellung der Arbeitslöhne hinweg; der Völkerrechtsvertrag wird gebrochen.

Der BFH ist nun davon überzeugt, dass dies nicht in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Gleichheitssatz steht. Die herkömmliche, bislang auch vom BVerfG ebenso wie vom BFH vertretene Rechtsauffassung, wonach es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, den mittels "einfachen" Gesetzes in nationales Recht transformierten Völkerrechtsvertrag durch ebenfalls "einfaches" Modifikationsgesetz zu "überschreiben", lasse sich nach zwischenzeitlich wohl gewandelter Sicht des BVerfG nicht länger aufrechterhalten:

Zum einen laufe § 50d Abs. 8 EStG der in Art. 25 GG niedergelegten materiell-rechtlichen Wertentscheidung zum Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts – hier des Grundsatzes des pacta sunt servanda – zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgru...

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