Rz. 9

Das Handelsgesetzbuch stellt durch die Verbundbeziehung I als Voraussetzung zur Klassifizierung als verbundenes Unternehmen auf ein Mutter-Tochter-Verhältnis i. S. d. § 290 HGB ab. Nach dieser Vorschrift kommt es bei der Bestimmung eines Mutter-Tochter-Verhältnisses ausschließlich darauf an, ob ein inländisches Mutterunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft bzw. einer dieser nach § 264a HGB gleichgestellten Personenhandelsgesellschaft "auf ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann."[1]

 

Rz. 10

Eine gesetzliche Konkretisierung des Begriffs "beherrschender Einfluss" existiert nicht. Der Gesetzesbegründung zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) ist jedoch zu entnehmen, dass ein solcher dann vorliegt, sofern sich dieser in der bloßen Möglichkeit manifestiert, die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens dauerhaft zu bestimmen, um aus dessen Geschäftstätigkeit Nutzen zu ziehen.[2] Zur Erleichterung der Rechtsanwendung bzw. Operationalisierung dieser abstrakten Definition eines Mutter-Tochter-Verhältnisses gem. § 290 Abs. 1 HGB werden in § 290 Abs. 2 HGB vier Tatbestände angeführt, deren Vorliegen unwiderlegbar zu der Annahme eines beherrschenden Einflusses und somit zur Bejahung eines Mutter-Tochter-Verhältnisses führt. Von einem beherrschenden Einfluss ist stets auszugehen, wenn das Mutterunternehmen

  1. ggf. kraft einer mit anderen Anteilseignern abgeschlossenen Vereinbarung über mehr als die Hälfte der Stimmrechte verfügen kann;[3]
  2. die Möglichkeit besitzt, die Mehrheit der Mitglieder des für die Finanz- und Geschäftspolitik maßgeblichen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestimmen oder abzuberufen und es gleichzeitig Gesellschafter dieses anderen Unternehmens ist;[4]
  3. gem. einer statutarischen oder anderen vertraglichen Vereinbarung die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen (Tochter-)Unternehmens bestimmen kann.[5]

Ergänzt wird diese in das übergeordnete Konzept des beherrschenden Einflusses integrierte "bilanzrechtliche Relations-Beschreibung"[6] sodann durch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Gem. § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB liegt auch dann ein beherrschender Einfluss vor, sofern einem (Mutter-)Unternehmen die Mehrheit der Risiken und Chancen aus der Tätigkeit einer sog. Zweckgesellschaft[7] zusteht.

 

Rz. 11

Liegt eines der unter (1) bis (3) genannten "konzerntypischen Rechte"[8] vor, ist eine Mutter-Tochter-Beziehung unwiderlegbar auch dann gegeben, wenn der beherrschende Einfluss (rechts-)tatsächlich nicht ausgeübt wird; vielmehr reicht die bloße Möglichkeit aus, eine beherrschende Einflussnahme geltend zu machen. Bei den dargestellten Sachverhalten handelt es sich jedoch nicht um eine abschließende Aufzählung von beherrschungskonstituierenden Tatbeständen. Der Definition in § 290 Abs. 1 HGB kommt stattdessen eher die Funktion einer Generalnorm zu, die mit den Tatbeständen in § 290 Abs. 2 HGB näher – jedoch nicht abschließend – konkretisiert wird.[9] Zudem existieren Unternehmensbeziehungen, in denen eine ökonomische Betrachtungsweise bei der Abgrenzung einer Mutter-Tochter-Beziehung zielführender erscheint, als eine an juristischen Tatbeständen ausgerichtete Prüfung von spezifischen Merkmalen. Dieser Tatsache ist sich der Gesetzgeber durchaus bewusst. So zielt die im Zuge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) aufgenommene Regelung des § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB auf die Einbeziehungsproblematik von sog. Zweckgesellschaften ab.[10] Infolge einer gezielten Umgehung der unter die Control-Rechte zu subsumierenden Tatbestände wurden Gesellschaften zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels derart ausgestaltet, dass die – per se gebotene – Einbeziehung sog. off-balance-sheet-Vertragskonstellationen in den (Voll-)Konsolidierungskreis mittels formalrechtlicher Gestaltungen umgangen werden konnte. Dieser gängigen Praxis soll(te) mittels der in § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB kodifizierten Norm entgegengewirkt werden.

 

Rz. 12

Vertritt man die in der einschlägigen (Kommentar-)Literatur mehrheitlich vorzufindende Auffassung, wonach die im Katalog des § 290 Abs. 2 Nr. 1–3 HGB formulierten Kriterien eine (formal-)rechtliche Absicherung (de jure control) bedingen, verbleibt die Frage, wie bzw. worunter der vom Gesetzgeber explizit geforderte[11], ggf. zu berücksichtigende Tatbestand der faktischen Beherrschung (de facto control) zu fassen ist. Weil zur Konstituierung eines Beherrschungsverhältnisses eine rechtliche Befugnis zur Beherrschung nicht zwingend vonnöten, mithin im Zweifel den wirtschaftlichen Gegebenheiten Vorrang einzuräumen ist, greift in solchen Fällen bereits die allem übergeordnete Norm des § 290 Abs. 1 HGB.

Der wohl mit Abstand bedeutsamste Anwendungsfall faktischer Einflussnahmemöglichkeit ist das Vorliegen einer nachhaltigen Haupt-/Gesellschafterversammlungspräsenzmehrheit. In diesen Fällen verfügt ein (Mutter-)Unternehmen zwar gerade nicht über die absolute (no...

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