In Fällen, in denen Ruf, Kundenstamm usw. von nicht geringer Bedeutung sind und sich deshalb Teil- und Vollrekonstruktionswert wesentlich unterscheiden, kann nur die Summe aus materieller Substanz und Goodwill einen angemessenen Vergleich von Kauf und Eigengründung ermöglichen und damit den Unternehmenswert repräsentieren. Der Goodwill ist häufig nur über umsatzbezogene Marktmultiplikatoren bewertbar.

Hieraus ergibt sich ein erster Einwand: Umsatzmultiplikatoren berücksichtigen die Kostenstruktur des Zielunternehmens nicht und führen deshalb für ein ertragreiches und ein ertragloses Unternehmen bei gleichem Umsatz (und gleicher Substanz) zu gleichem Unternehmenswert, obwohl sich die Zukunftserfolge unterscheiden. Der Einwand ist unberechtigt, soweit es um kurzfristige änderbare und daher den Erwerber wenig interessierende Kosten geht:

 
Praxis-Beispiel

Langfristige Erfolgspotenziale und sonstige langfristige Faktoren

K interessierte sich für Kauf (oder Gründung) eines Sportgeschäfts in X-Stadt. 2 Geschäfte mit ähnlichem Sortiment und Umsatz, ähnlicher Lage und jeweils langfristiger Mietbindung stehen zum Verkauf. Geschäft A hat den günstigeren Mietvertrag, aber höhere Personalkosten wegen Beschäftigung einer Einkäuferin und "Buchhalterin", die meistens die Skontofristen verschläft und regelmäßig in zu kleinen Partien (geringe Rabatte) bestellt. Die Ist- und Soll-Ergebnisse sind wie folgt:

 
  A Ist B Ist und Soll A Soll
Umsatz 1.000 1.000 1.000
Wareneinsatz brutto – 600 – 600 – 600
Skonto/Rabatte 0 90 90
Verkaufspersonal – 200 – 200 – 200
Buchhalterin/externe Buchhaltung – 120 – 10 – 10
Raumkosten – 50 – 150 – 50
Überschuss 30 130 230

Nach den Erträgen müsste B einen höheren Unternehmenswert als A haben. Tatsächlich wird K bereit sein, für das Geschäft A einen höheren Preis zu zahlen. Dessen Kostennachteile sind (durch Entlassung) kurzfristig aufzuheben (etwaige Abfindungszahlungen sind zu beachten), während der Raumkostennachteil langfristig bestehen bleibt.

Der Kauf eines Unternehmens ist eine langfristige Investition. Für die Vorteilhaftigkeit interessieren solche Kosten und Merkmale weniger, die kurzfristig änderbar sind. Der Markt wird als Goodwill eher langfristige Faktoren bewerten, insbesondere den Kundenstamm oder den Standort. Die langfristigen Erfolgspotenziale aus Kundenstamm usw. sind am ehesten über Umsatz und Umsatzmultiplikatoren zu fassen. Daneben bestehende sonstige langfristige Faktoren (im Beispiel: ungünstiger Mietvertrag) können durch individuelle Abschläge (auf den Wert oder Multiplikator) berücksichtigt werden.

Ein derartiges Vertrauen in einen marktbewerteten Goodwill begegnet dem weiteren Einwand, (zufällige) Marktpreise statt (fundamentale) Unternehmenswerte zu ermitteln. Die Fragwürdigkeit dieser Unterscheidung von Preis und Wert wurde schon diskutiert. Hierbei lässt sich noch folgender Gegeneinwand hinzufügen: Bei idealen Marktbedingungen würden die Kaufpreise (KP) für Unternehmen dem berechneten Substanzwert entsprechen. Eine Unterscheidung zwischen Wert und Preis entfällt. Lägen die Preise unter dem Substanzwert, wäre ein Unternehmenskauf günstiger als eine Gründung. Die Nachfrage nach Unternehmen würde anziehen und damit auch die Kaufpreise, bis Angebot und Nachfrage beim Marktpreis (MP) ins Gleichgewicht kämen. Umgekehrt wäre bei Kaufpreisen über dem Vollrekonstruktionswert (VRW) die Gründung vorteilhafter. Die Nachfrage nach Unternehmen würde zurückgehen und damit der auf dem Markt erzielbare Kaufpreis. Bei idealen Marktbedingungen gilt deshalb:

KP = MP = VRW = TRW + Marktmultiplikator × Umsatz

Unter idealen Bedingungen müsste daher auch der Marktmultiplikator eine systematisch richtige und keine zufällige Größe sein. Die tatsächlichen Bedingungen für Unternehmensverkäufe weichen unterschiedlich stark von idealen Marktverhältnissen ab. Soweit es um Arztpraxen, Steuerbüros, Boutiquen in städtischen 1a-Lagen usw. geht, werden auf dem jeweiligen Markt relativ ähnliche Unternehmen (relativ homogenes Gut) in relativ großer Häufigkeit (viele Anbieter, viele Nachfrager) gehandelt. Die Marktrealität ist nah genug an den Verhältnissen, die das VRW-Modell theoretisch rechtfertigen. Wo hingegen Großunternehmen mit spezifischem Produktmix (relativ inhomogenes Gut) relativ selten gehandelt werden, fehlt es (an begründbaren) Marktmultiplikatoren. Das VRW-Modell kann nur bedingt zum Einsatz gelangen.

Unabhängig von den Einsatzmöglichkeiten begegnet das VRW-Modell noch einem dritten Einwand. Während die Zukunftserfolgswertmethode über die absolute Vorteilhaftigkeit eines Unternehmenskaufs (im Vergleich zu allen anderen sicheren und unsicheren Kapitalanlagen) den rationalen Unternehmenswert ermittle, könne die VRW-Methode über die relative Vorteilhaftigkeit eines Kaufs (im Vergleich zur Eigengründung) nur relative Werte darstellen. Dieser Einwand klingt theoretisch richtig und ist praktisch irrelevant. Der Käufer einer Arztpraxis, eines Steuerbüros, einer Eisdiele usw. steht nicht vor der Alternative,...

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