Sachverhalt

Bei dem bulgarischen Verfahren ging es um ähnlich wie in der Rechtssache C-643/11 (LVK-56 EOOD) um die Versagung des Vorsteuerabzugs aus bezogenen Lieferungen (hier Dieselkraftstoffe), weil die Finanzverwaltung der Auffassung war, dass die Lieferungen nicht belegt seien. Wie in der Rechtssache C-643/11 waren Lieferungen an die Klägerin auf der Vorstufe besteuert worden und erst bei Anschlussprüfungen der Vorlieferanten Zweifel an den in Rechnung gestellten Lieferungen geäußert worden.

Die Klägerin forderte, das Fehlen einer Berichtigung der ausgewiesenen Steuer in dem Steuerprüfungsbescheid, der gegenüber ihrem Lieferanten von der Einnahmenverwaltung erlassen wurde, müsse als Beweis für die Existenz der von ihr bezogenen Lieferungen gelten. Art. 85 des bulgarischen MwStG, durch den Art. 203 MwStSystRL umgesetzt worden ist, wurde vom Vorlagegericht dahin ausgelegt, dass, wenn in einer Rechnung Steuer ausgewiesen wird, ein Sonderfall des Entstehens eines Steueranspruchs vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob ein Grund für die Ausstellung dieser Rechnung und den Ausweis der MwSt besteht oder nicht. Da die nationalen Bestimmungen vorsehen, dass Berichtigung und Annullierung ausgestellter Rechnungen nur vom Aussteller vorzunehmen sind, und keine Möglichkeit einer Berichtigung durch die Einnahmenverwaltung vorgesehen ist, wird die ausgewiesene MwSt nach bulgarischem Recht aus eigenem Grund geschuldet, und die Finanzverwaltung ist nicht berechtigt, diese Steuer zu berichtigen. Andererseits besteht in diesen Fällen eine ständige Verwaltungspraxis, wonach jedem der folgenden Händler in der Kette das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, und für das Vorlagegericht stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob nicht durch diese Praxis Grundprinzipien des EU-Rechts verletzt werden.

 

Entscheidung

Der EuGH hat in seiner Entscheidung (die nahezu gleichlautend wie das Urteil vom gleichen Tag in der Rechtssache C-643/11 ergangen ist) unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung noch einmal die Funktion von Art. 203 MwStSystRL angesprochen. Mit der Regelung soll der Gefährdung des Steueraufkommens entgegengewirkt werden, die sich aus dem Vorsteuerabzugsrecht aus Rechnungen mit gesondert ausgewiesener MwSt ergibt. Allerdings wird die in Art. 203 MwStSystRL geregelte Steuerschuld durch die von den Mitgliedstaaten in ihren innerstaatlichen Rechtsordnungen vorzusehende Möglichkeit begrenzt, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zugunsten des Rechnungsausstellers zu berichtigen, wenn der Aussteller seinen guten Glauben nachweist oder die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat. Vor diesem Hintergrund hat Art. 203 keinen Sanktionscharakter.

Wenn der Rechnungsaussteller keine Berichtigungsgründe geltend macht, ist nach den weiteren Entscheidungsgründen die Finanzverwaltung nicht verpflichtet,

zu prüfen, ob der Rechnung mit Steuerausweis tatsächlich steuerpflichtige Umsätze zugrunde lagen. Daher kann allein daraus, dass die Finanzverwaltung eine in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht berichtigt hat, nicht geschlossen werden, dass sie anerkannt hat, dass der Rechnung tatsächlich ein steuerpflichtiger Umsatz zugrunde lag. Andererseits ist die Finanzverwaltung unionsrechtlich nicht gehindert zu prüfen, ob die in einer Rechnung ausgewiesenen Umsätze tatsächlich erbracht wurden, und dass sie eine aufgrund des Steuerausweises geschuldete Steuer (bei Vorliegen der Gründe dafür) ggf. berichtigt. Von daher ist nach dem Urteil Art. 203 MwStSystRL so auszulegen, dass die in einer Rechnung ausgewiesene MwSt vom Rechnungsaussteller unabhängig davon geschuldet wird, ob tatsächlich ein steuerpflichtiger Umsatz vorlag. Allein aus dem Umstand, dass die Finanzverwaltung in einem an den Rechnungsaussteller ergangenen Steuerbescheid die vom Rechnungsaussteller angemeldete Steuer nicht berichtigt hat, kann nicht geschlossen werden, dass die Finanzverwaltung anerkannt hat, dass der Rechnung ein tatsächlich bewirkter steuerpflichtiger Umsatz zugrunde lag.

Nach den weiteren Entscheidungsgründen hindern die Art. 167 und 168 MwStSystRL sowie der Neutralitätsgrundsatz, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung nicht daran, einem Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug mangels Eingangsumsatz zu versagen, obwohl die vom Rechnungsaussteller angemeldete Steuer (im Sinne des Art. 203 MwStSystRL) nicht berichtigt wurde. Der EuGH bekräftigt, dass ein Vorsteuerabzug nur aus steuerpflichtigen Eingangsumsätzen möglich ist, nicht aber aus einer nach Art. 203 MwStSystRL geschuldeten Steuer. Schließlich verweist der EuGH wiederum auf seine frühere Rechtsprechung, wonach die Finanzverwaltung von dem Unternehmer, der einen Vorsteuerabzug geltend machen will, nicht generell verlangen kann, zu prüfen, ob der Rechnungsaussteller in der Lage war, den betreffenden Umsatz auszuführen und seinen umsatzsteuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten nachgekommen ist. Geht die Finanzverwaltung davon aus, dass d...

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