Volatilität und struktureller Wandel führen zu komplexen Entscheidungssituationen

Angesichts der skizzierten Rahmenbedingungen müssen Führungskräfte akzeptieren, dass sie in einem zusehends komplexeren Wettbewerbsumfeld agieren werden. In Entscheidungssituationen müssen sie eine immer höhere Anzahl an Faktoren berücksichtigen, die sich noch dazu immer rascher verändern und immer stärker miteinander vernetzt sind. Wesentliche Treiber dieser Entwicklung sind einerseits die Globalisierung und andererseits der rasante Fortschritt in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Globale Märkte verlangen, für Entscheidungen das Verhalten einer höheren Anzahl an Marktteilnehmern, z. B. mehr Wettbewerber bzw. mehr und unterschiedlichere Kunden, zu berücksichtigen. Gleichzeitig führen moderne Informationstechnologien dazu, dass Informationen mehr oder weniger in Echtzeit global zur Verfügung stehen und sich dadurch die Dynamik des Marktgeschehens dramatisch erhöht.

Abb. 7: Entscheidungskomplexität durch die Dynamik vieler Faktoren

Ein derart komplexes Marktumfeld kann jedoch nur partiell erfasst und eingeschränkt prognostiziert werden. Wir müssen uns vielmehr mit der Erkennung von Mustern und Prinziperklärungen zufriedengeben. Das Marktumfeld wird uns daher in seinen konkreten Entwicklungen auch in Zukunft trotz des enormen Fortschritts in der Informationstechnologie, z. B. Big-Data, immer wieder überraschen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Führungskräfte die Komplexitätsbewältigung als die größte Herausforderung nennen.

Komplexität durch zielorientierte Koordination (Alignment) beherrschen

Für den erfolgreichen Umgang mit Komplexität geben die Kybernetik und Systemtheorie eine zentrale Orientierungsrichtlinie: "Wir können ein komplexes System nur mit Hilfe eines ebenso komplexen Systems unter Kontrolle bringen."[1] Um der Komplexität des Unternehmensumfelds erfolgreich zu begegnen, müssen Unternehmen in der Lage sein, mit der Veränderungsgeschwindigkeit des Umfelds mitzuhalten. Dies wird vor allem durch abstrakte Regeln und Selbstorganisation erzielt. Der Verzicht auf Detailbestimmungen stärkt den Spielraum der Mitarbeiter, innerhalb dessen sie ihre Fähigkeiten zielgerichtet in den Dienst der Organisation stellen können. Daimler hat beispielsweise seinen Regelwust rigoros durchforstet und die Vorschriften für Mitarbeiter konzernweit von ca. 1.800 auf ca. 1.000 verringert.[2] Selbstorganisation verlangt jedoch nach dezentralen Entscheidungsstrukturen und einem darauf ausgerichteten Steuerungssystem. Dezentrale Strukturen ermöglichen rasche Entscheidungen und Reaktionen vor Ort.

Gleichzeitig gilt es jedoch, diese dezentralen Einheiten stärker zu koordinieren und auf das Gesamtziel auszurichten (Alignment). Die Grundidee kann an einem Fußballspiel augenscheinlich gezeigt werden. Um siegreich zu sein, muss eine Mannschaft mit der Variantenvielfalt und Laufdynamik des Gegners mithalten können. Müssten die Spieler vor jeder Entscheidung, z. B. abzuspielen oder selbst zu stürmen, den Trainer fragen bzw. auf dessen Entscheidung warten, würde dies die Leistungsfähigkeit der Mannschaft dramatisch verschlechtern, sprich, deren Komplexität auf die Komplexität ihres Trainers reduzieren. Es ist vielmehr Erfolg versprechend, die Mannschaft mithilfe einer Taktik (abstrakte Regeln) auf eine gemeinsame Spielweise auszurichten, die Entscheidung in der konkreten Spielsituation aber dem jeweiligen Spieler zu überlassen. Auch wenn es aktuelle Beispiele erfolgreicher Dezentralisierung wie z. B. die Umwandlung der Bayer AG in eine strategische Management-Holding gibt,[3] schlägt das Pendel in der Wirtschaft derzeit ganz allgemein wieder zu einer stärkeren Zentralisierung aus.

[1] Vgl. Ashby, 1974, S. 299.
[2] Financial Times Deutschland v. 7.2.2012.
[3] Vgl. Schewe/Becker, 2013.

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