Leitsatz

1. Die auf einem entgeltlichen Rechtsverhältnis beruhende Überlassung einer Wohnung an den geschiedenen oder dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG.

2. Dagegen handelt es sich bei einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung um Naturalunterhalt, der in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG in Höhe der ortsüblichen Miete als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG berücksichtigt werden kann (Anschluss an BFH-Urteil vom 12.04.2000 – XI R 127/96, BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II.1.).

3. Die ortsübliche Miete ist auch dann anzusetzen, wenn die Parteien unterhaltsrechtlich einen betragsmäßig geringeren Wohnvorteil vereinbart haben.

 

Normenkette

§ 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG, § 15 Abs. 2 BewG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 118 Abs. 2 FGO, § 1361 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger lebte im Streitjahr 2015 von seiner Ehefrau E dauernd getrennt. E und die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder bewohnten noch die bisherige Familienwohnung, deren Eigentümer der Kläger und E je zur ideellen Hälfte waren. In einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung verpflichtete sich der Kläger u.a. dazu, E bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils Trennungsunterhalt von monatlich 200 EUR als Elementar- und Versorgungsunterhalt zu zahlen. Dabei waren sie sich einig, dass der Trennungsunterhalt monatlich 600 EUR betrug, allerdings ein mit 400 EUR zu bewertender Wohnvorteil für die Überlassung der Familienwohnung abzuziehen war.

Der Kläger meinte, beim Abzug der Unterhaltsleistungen sei für die Nutzungsüberlassung der ehemaligen Familienwohnung nicht der in der Vereinbarung mit E zugrunde gelegte Betrag von 400 EUR, sondern der tatsächliche Mietwert seines Miteigentumsanteils (monatlich 818,07 EUR) zu berücksichtigen. Dies lehnten sowohl das FA als auch das FG ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.6.2020, 1 K 99/19, Haufe-Index 14320839).

 

Entscheidung

Die Revision war begründet, da das FG der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau rechtsfehlerhaft entnommen hatte, die Nutzungsüberlassung des Miteigentumsanteils des Klägers an der ehemals ehelichen Wohnung habe auf einer mietvertragsähnlichen Vereinbarung beruht und sei keine unentgeltliche Naturalunterhaltsleistung gewesen. Die nicht spruchreife Sache wurde an das FG zurückverwiesen.

 

Hinweis

1. Nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden, unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt, und zwar bis zu 13.805 EUR im Kalenderjahr. Korrespondierend muss der Empfänger jene Leistungen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1a EStG versteuern (sog. begrenztes Realsplitting).

2. Für den Abzug von Sonderausgaben müssen Aufwendungen vorliegen, d.h. dem Steuerpflichtigen sind Ausgaben in Geld oder Geldeswert entstanden, die bei ihm abgeflossen sind. Entgangene Einnahmen sind demgegenüber keine Aufwendungen.

3. Das zentrale Merkmal der "Unterhaltsleistungen" in § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG entspricht dem in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG verwendeten Begriff "Aufwendungen für den Unterhalt". Danach sind Unterhaltsleistungen die typischen Aufwendungen zur Bestreitung der Lebensführung, z.B. für Ernährung, Kleidung oder Wohnung. Der Unterhalt kann in Geld oder geldwerten Sachleistungen erbracht werden.

4. Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung, die den Anspruch des Unterhaltsberechtigten auf Barunterhalt vermindert, ist eine Naturalunterhaltsleistung. Diese ist in sinngemäßer Anwendung des § 15 Abs. 2 BewG mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen. Es handelt sich dabei um den Geldbetrag, den der Berechtigte aufwenden müsste, um sich die geldwerten Güter im freien Verkehr zu verschaffen. Bezieht sich die Nutzungsüberlassung nur auf einen Miteigentumsanteil an einer Wohnung, ist der entsprechende Anteil des ortsüblichen Mietzinses anzusetzen.

5. Da die Wertbestimmung objektiv erfolgt, ist die Naturalleistung auch dann mit dem objektiven Wert anzusetzen, wenn die Parteien in einer Unterhaltsvereinbarung subjektiv einen anderen Betrag zugrunde gelegt haben.

6. Welcher Wert ist bei einer Wohnungsüberlassung anzusetzen, in der der Ehepartner zusammen mit den gemeinsamen Kindern wohnt? Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltsverpflichtete nur den Aufwand nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abziehen kann, der gegenüber dem geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu erbringen ist. Der Kindesunterhalt wird demgegenüber durch das Kindergeld bzw. die kindesbedingten Freibeträge nach § 32 EStG berücksichtigt. Einheitlich geleisteter Unterhalt – so auch die Überlassung einer Wohnung – ist somit für steuerrechtliche Zwecke aufzuteilen.

7. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird dieser einheitliche Unterhalt im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStGnicht...

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