Zusammenfassung
Kaum einem Thema im Grenzbereich zwischen Steuerrecht und Steuerstrafrecht ist in der letzten Zeit so viel Aufmerksamkeit gewidmet worden wie dem Bereich der Tax Compliance. Hierzu beigetragen haben Änderungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 153 AO (AEAO zu § 153)[1], die Veröffentlichung des IDW-Praxishinweises 1/1016 IDW PS 98[2] sowie die BGH-Entscheidung vom 9.5.2017 zur Frage, ob die Verhängung einer Geldbuße gegen eine sog. Leitungsperson die Installation eines effektiven, auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegten Compliance Systems zu einer Minderung der Geldbuße führen kann.[3] Bereits zuvor haben eine Reihe aufsehenerregender Zeitungsartikel zu Fällen von Non-Compliance[4] und das sog. "Neubürger Urteil" des LG München I zur Haftung eines Vorstandsmitglieds wegen der Einrichtung eines mangelhaften Compliance Systems[5], die Unternehmen wachgerüttelt und die Diskussion um die Voraussetzungen und die Wirksamkeit von Tax Compliance-Maßnahmen angefacht. Tax Compliance ist gegenwärtig in aller Munde. Demgegenüber gibt es gegenwärtig keine flächendeckende "Tax Compliance-Kultur" in deutschen Unternehmen. Die (frühzeitige) Einbindung der Steuerabteilung in operative Prozesse ist noch keine durchgängige Realität. Es besteht vielfach ein uneinheitliches Bewusstsein und hohe Unsicherheiten bei steuerlichen Fragen auf Führungsebene[6], was zu einer späten und sporadischen Einbindung der Steuerabteilung führt und ein funktionierendes Tax Compliance erschwert.[7]
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Wirkungen Tax Compliance bei Verstößen gegen steuerliche Vorschriften für die Unternehmensverantwortlichen und die Unternehmen selbst entfalten kann und welche Voraussetzungen aus steuerstrafrechtlicher Sicht und insbesondere aus straf- und bußgeldrechtlicher Sicht an ein wirksames Tax Compliance Management System zu stellen sind.
BMF, Schreiben v. 23.5.2016, BStBl 2016 I S. 490 – Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung zu § 153 AO (AEAO zu § 153),
IDW Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980, Stand: 31.5.2017
BGH, Urteil v. 9.5.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017 S. 390-399
LG München I, Urteil v. 10.12.2013, 5 HK O 1387/10, wistra 2014 S. 195ff.
1 Begriff der Tax Compliance
Tax Compliance wird gemeinhin als Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen verstanden. Gemeint sind alle auf steuerlichen Regeln beruhenden Verpflichtungen, wie Abzugs-, Dokumentations- und Aufbahrungspflichten.[1] Insbesondere sollen Tax Compliance Management Systeme eine vollständige Umsetzung der steuerlichen Erklärungspflichten durch die fristgerechte Abgabe von Erklärungen (§ 149 AO) und Anzeigen (§§ 137-139 AO) sowie die vollständige und wahrheitsgemäße Offenlegung besteuerungserheblicher Tatsachen (§§ 90 Abs. 1 Satz 2, 150 Abs. 2 AO) gewährleisten.[2] Besondere Anforderungen bestehen, wenn die für die Steuererklärung relevanten Prozesse ausgelagert werden oder wenn die Unternehmen bei den Abzugssteuern als Verwaltungshelfer die Steuer berechnen und einbehalten.[3]
Eine Rechtsgrundlage oder eine rechtliche Verpflichtung zur Einführung von Tax Compliance Systemen gibt es allerdings, anders als u. a. im Versicherungsaufsichtsrecht (§ 29 VAG), im Wertpapierhandelsgesetz (§ 33 WpHG), im Kreditwesengesetz (§ 25a KWG)[4] und im Kartellrecht[5], im Steuerrecht nicht.[6] Lediglich im Entwurf eines Verbandstrafgesetzbuches des Justizministeriums NRW aus dem Jahr 2013 (§ 5 VerbStrG-E)[7], dem BMF-Schreiben v. 23.5.2016 zum AEAO zu § 153 AO[8] und dem IDW-Praxishinweis 1/2016 zur "Ausgestaltung und Prüfung eines Tax CMS gem. IDW PS 980"[9] finden sich Aussagen zu Tax Compliance, auf die später noch näher eingegangen wird.
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