Mit Blick auf Unternehmen wird Tax Compliance zuvorderst als "die Summe der Aktivitäten zur Sicherstellung der Rechtsbefolgung in Unternehmen" verstanden.[1] Im Vordergrund steht die Vermeidung von Sanktionen und Haftung für Unternehmensverantwortliche und Unternehmen.[2]

Die Bedeutung von Tax Compliance reduziert sich in seiner Gesamtheit allerdings nicht auf die Frage, ob Tax Compliance im konkreten Fall den bedingten Vorsatz des § 370 AO oder die Aufsichtspflichtverletzung des § 130 OWiG entfallen lässt, oder ob es die Folgen steuerlichen Fehlverhaltens für Unternehmensverantwortliche und Unternehmen zu mildern vermag. Vielmehr können Tax Compliance-Ansätze auch dazu dienen, die steuerlichen Risiken zu minimieren und die steuerliche Belastung zu mindern.[3] Ein erfolgreiches Tax-Compliance-Programm, das die Reduzierung bzw. Vermeidung von (steuer)strafrechtlichen Risiken bezweckt, kann dem Unternehmen zugleich auch dazu dienen, im rechtlich zulässigen Rahmen Steuervergünstigungen zu nutzen und dadurch die Steuerbelastung für das Unternehmen insgesamt zu senken.[4]

Im internationalen Kontext wird Tax Compliance als Kooperationsmodell im Spannungsverhältnis zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem vielfältig interpretiert.[5] Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Bereitschaft des Steuerpflichtigen, die geschuldete Steuerlast zu tragen. Es geht um die Frage, wie diese Bereitschaft erhöht und die rechtzeitige Entrichtung der gesetzmäßigen Steuerschuld sicherstellt werden kann.[6] Die OECD sieht den Zeitablauf zwischen Abgabe der Steuererklärung und deren Überprüfung als das größte Hindernis einer interessengerechten und effektiven Besteuerung an, weil die Finanzverwaltung auf illegale und legale, aber unerwünschte Effekte nur zeitverzögert, nämlich Jahre nach Erklärungsabgabe z. B. durch Betriebsprüfungen reagiert.[7] Dies birgt für die Finanzverwaltung die Gefahr von Steuerausfällen und für den Steuerpflichtigen die Gefahr von horrenden Steuernachzahlungen sowie schlimmstenfalls von Steuerstrafverfahren. Um diesem Risiko zu begegnen, werden länderspezifisch verschiedene Compliance-Modelle praktiziert, die allesamt proaktives Verhalten der Finanzbehörden und eine risikoorientierte Behandlung von Steuerpflichtigen erfordern und durch Freiwilligkeit und eine Hebung der Steuermoral durch Abkehr von einer rein prüfenden Finanzverwaltung vorsehen.[8] Bei alledem wird die Notwendigkeit betont, ein die Steuerehrlichkeit förderndes Umfeld zu schaffen, indem weniger die der Steuererklärung nachgelagerte Phase, als vielmehr die der Steuererklärung vorgelagerte Phase stärker betont wird.[9]

Neben diesen stark "kundenbezogenen" Ansätzen dominiert im gegenwärtigen Abgabenrecht noch die "klassische" Rollenverteilung zwischen Finanzbehörden und Unternehmen, die trotz aller Öffnung hin zu mehr Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit[10] eher auf ein reaktives Verhalten der Finanzbehörden setzt.[11] Das bedeutet, dass vom steuerpflichtigen Unternehmen in den Steuererklärungen oder Steueranmeldungen vorgegebene Sachverhalte von den Finanzbehörden im Nachhinein überprüft werden. Sind die Angaben zeitgerecht und zutreffend erfolgt und hat das steuerpflichtige Unternehmen alle relevanten Unterlagen überlassen und alle relevanten Sachverhalte offenbart, so hat es sich kooperativ verhalten. Wer die steuerlichen Sachverhalte fristgerecht ggf. unter Vorlage von Unterlagen wahrheitsgemäß offengelegt hat, hat keine Sanktionen zu befürchten und sollte auf eine zeitnahe und unkomplizierte Prüfung und Erledigung seiner Steuerangelegenheit vertrauen können.[12]

Gegenwärtige Instrumente einer zeitnahen Überprüfung sind die in einigen Bundesländern praktizierte "zeitnahe Betriebsprüfung"[13] und das beispielsweise in Österreich und den Niederlanden praktizierte "sog. Horizontal Monitoring", eine Art zeitnahe Betriebsprüfung, die die Einrichtung eines unternehmenseigenen Steuer-Risiko-Management Systems voraussetzt.[14] Weitergehende Ansätze in Richtung Tax Compliance oder innerbetrieblichem Kontrollsystem gibt es gegenwärtig nicht.[15] Die Finanzverwaltung hinkt der Entwicklung in diesem Punkt hinterher.

[1] Beckschäfer, ZWH 2016, S. 189 m.w.N.
[2] Esterer/Eisgruber, DB 2017 S. 986; 987; Beckschäfer, ZWH 2017 S. 189; Bock, Criminal Compliance, 2. Aufl. 2013, S. 21
[3] Risse, DB 2017 S. 2061
[4] so auch Neuling DStR 2015 S. 558, 560; zum unlauteren Steuerwettbewerb durch aggressive Steuerplanung und zur Rolle von Tax Compliance in diesem Zusammenhang vgl. Ehrke-Rabel, StuW 2015 S. 101, 107ff.
[5] dazu Kaiser, IWB 1010 S. 774ff.; Ehrke-Rabel, StuW 2015 S. 101, 112ff.
[6] Ehrke-Rabel, StuW 2015 S. 101, 111
[7] Ehrke-Rabel, StuW 2015 S. 101, 113 m.w.N.
[8] Kaiser, IWB 2010, 774, 776ff.; vgl. auch die Darstellung bei Ehrke-Rabel, StuW 2015 S. 101, 111ff.
[9] OECD, Taxation of SME in OECD and G20 Countries v. 5.9.2015, hierzu Kaiser, IWB 1016 S. 638, 639
[11] Ehrke-Rabel, StuW 2015 S. 101,117
[12] so Risse, DB 2017 S. 2061, 2063
[13] § 4...

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