IAS 1 schreibt anders als §§ 266 und 275 HGB kein bestimmtes Format für die Bilanz und die GuV vor. Festgelegt werden lediglich Mindestangaben und Gliederungsmöglichkeiten. Aus der Sicht des Anwenders ist diese Flexibilität nicht nur von Vorteil. Sie hat etwas Unübersichtliches und Undurchsichtiges, weil die allgemeinen Gliederungsregeln sowie die speziellen Vorschriften in den einzelnen IFRS zu beachten bleiben. Für die praktische Anwendung ist aber die Frage, wo etwas auszuweisen und wie es zu bezeichnen ist, nicht weniger wichtig und komplex als die Frage nach Bilanzansatz und Bewertung. Ein Gliederungsschema gibt Sicherheit. Es hilft, einen Umstellungsprozess zu strukturieren und die Probleme zu portionieren. So mag das Gliederungsthema zwar wissenschaftlich unergiebig sein, für die Praxis bleibt es aber von Interesse.

Hauptgliederungsprinzip der Bilanz ist die Unterscheidung nach kurzfristigen und langfristigen Vermögenswerten bzw. Schulden. Eine Gliederung nach Liquiditätsnähe ist auf Ausnahmefälle (insbesondere Banken) beschränkt (IAS 1.60).

Die Unterscheidung in kurzfristige und langfristige Vermögenswerte und Schulden verlangt zunächst nach einer Definition der Kurzfristigkeit. Für Vermögenswerte liefert IAS 1.66 diese Definition wie folgt:

Ein Vermögenswert ist kurzfristig (current), wenn

  • er zum Verkauf oder Verbrauch innerhalb des normalen Verlaufs des operation cycle (Geschäftszyklus) oder zu Handels-/Spekulationszwecken gehalten wird oder
  • es sich um Zahlungsmittel oder Zahlungsmitteläquivalente handelt oder
  • seine Realisation innerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag erwartet wird.

Im Verhältnis der drei Möglichkeiten sind der erste und der dritte Punkt klärungsbedürftig. Entscheidend ist der Begriff des operation cycle. Er erfasst am Beispiel eines Produktionsunternehmens den Zeitraum zwischen dem Erwerb von Materialien, die in die Herstellung eingehen, und deren Realisation in Geld durch Veräußerung der Erzeugnisse. Insbesondere in Fällen langfristiger Fertigung, z. B. bei Bauunternehmen, kann dieser Zyklus mehr als zwölf Monate betragen. Auch bei "normaler" Fertigung kann die Verbrauchszeit von Vorräten und die Laufzeit von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen über den Zwölf-Monatszeitraum hinausreichen. Da die Vorräte und Debitoren aber gerade den operation cycle markieren, da sie als Teil des gewöhnlichen Geschäftszyklus verkauft, verbraucht und realisiert werden, greift die Zwölf-Monatsregel bei diesem Posten nicht. Vorräte gelten folgerichtig auch dann als kurzfristig, wenn die Realisationsperiode mehr als zwölf Monate beträgt. Für Debitoren gilt Entsprechendes, sofern sich der lange Zeitraum aus den Besonderheiten des Geschäfts und nicht aus einer einzelvertraglichen Stundungsabrede ergibt. In den anderen relevanten Fällen gelangt hingegen die Zwölf-Monatsregel zur Anwendung.

Schulden sind analog als kurzfristig zu klassifizieren, wenn ihre Tilgung

  • innerhalb des gewöhnlichen Verlaufs des operation cycle oder
  • innerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag fällig ist (IAS 1.69).

Auch auf der Passivseite gilt als Grundregel die Zwölf-Monatsfrist. Wichtige Ausnahmen sind Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sowie Rückstellungen für operative Kosten, z. B. Gewährleistungs- oder Urlaubsrückstellungen. Sie werden nach dem Geschäftszyklus und somit unabhängig von den zwölf Monaten beurteilt. Für Darlehensverbindlichkeiten ist eine Aufspaltung zwischen dem Tilgungsanteil der nächsten zwölf Monate, auszuweisen als kurzfristige Verbindlichkeiten, und dem längerfristigen Teil des Darlehens vorzunehmen.

Zu besonderen Ausweisproblemen führen außerordentliche Kündigungsrechte des Gläubigers, die sich aus der Verletzung vertraglich zugesicherter Bedingungen (breach of covenants) ergeben. In der Praxis können solche Klauseln etwa bei Unterschreiten einer bestimmten Eigenkapitalquote oder eines bestimmten Ergebnisses vor Steuern, Zins und Abschreibung (EBITDA) zur Kündigung berechtigen. Liegt im abgelaufenen Jahr eine Verletzung der Bedingungen vor, so ist eine Umklassifizierung von langfristigen nach kurzfristigen Verbindlichkeiten auch dann geboten, wenn der Gläubiger noch im Bilanzaufstellungszeitraum seinen Verzicht auf die Kündigung erklärt (IAS 1.74. Die Regelungen zu covenants sind mehrfach, zuletzt im Oktober 2022 geändert worden).

 

Beispiel

Die U GmbH nimmt am 31.12.01 ein endfälliges Darlehen mit fünfjähriger Laufzeit auf. Der Darlehensvertrag enthält sog. Financial Covenants, nach denen die Einhaltung bestimmter Finanzkennzahlen, u. a einer Mindesteigenkapitalquote, während der Vertragslaufzeit zugesichert wird. Bei Verletzung der Bedingungen hat der Gläubiger ein außerordentliches Kündigungsrecht, das wie folgt gestaltet ist:

  • Maßgeblich für die Einhaltung/Nichteinhaltung der Kennzahlen ist eine auf den Jahresabschluss und dessen Prüfung aufbauende Bescheinigung des Abschlussprüfers.
  • Nach Zugang dieser Bescheinigung hat der Gläubiger zur Ausübung seines Kündigungsrechts ei...

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