Durch die EU-Verordnung aus 2003 zu IAS ist der standard setting process um ein Element erweitert worden. Der IASB ist eine privatrechtliche Organisation. Das Regelwerk einer solchen Organisation unmittelbar zu europäischem Recht zu machen, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Die EU-Verordnung sieht daher ein sog. Endorsement-Verfahren (auch Komitologieverfahren genannt) zur europäischen Anerkennung der IAS/IFRS vor (vgl. Abb. 2). Danach werden die einzelnen Standards des IASB bzw. deren Änderungen erst durch folgenden Prozess verbindliches EU-Recht:

  • Die von Vertretern der Wirtschaft gegründete, privatrechtliche European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) spricht eine Übernahmeempfehlung aus.
  • Die mit europarechtlichem Mandat versehene Standards Advice Review Group (SARG) befindet diese Empfehlung als ausgewogen und objektiv.
  • Die Europäische Kommission spricht eine Übernahmeempfehlung aus.
  • Das von Vertretern der Mitgliedstaaten gebildete Accounting Regulatory Committee (ARC) sowie das Regulatory Procedure Committee des Europa-Parlaments billigen die Übernahme.

Abb. 2: EU-Endorsement

Formell erhält im Endorsement-Verfahren jeder Standard seine "einzelgesetzliche" Anerkennung durch die EU. Faktisch bleibt es im Wesentlichen dabei, dass der IASB als ein privates Gremium Rechnungslegungsnormen setzt. Dies scheint vertretbar, solange es nur um den Konzernabschluss geht. Sobald auch der Einzelabschluss und damit Ausschüttungsrechte und Steuerlasten betroffen wären, ergäben sich stärkere Zweifel, ob ein solches Verfahren den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit genügen würde.

Zur Ablehnung von IFRS-Regeln ist es bislang vor allem bei Finanzinstrumenten (IAS 39) gekommen. Die Regelungen des IASB wurden nur partiell zu EU-Recht (partial endorsement oder auch carve out). Die EU hat die sog. fair value option für Finanzinstrumente, insbesondere Verbindlichkeiten in ihrer ursprünglichen Form, und die Regeln zum Portfolio-hedge nicht anerkannt.

Praktisch bedeutsamer ist die zeitliche Verzögerung, die durch den Endorsement-Mechanismus eintritt. Zwar bleibt zwischen Verabschiedung eines neuen Standards und seinem vom IASB vorgesehenen Anwendungsdatum (effective date) in der Regel genügend Zeit für das Endorsement. Die meisten Standards enthalten jedoch ein Wahlrecht zur vorzeitigen Anwendung (early adoption). Das auf Basis der EU-Verordnung bzw. gemäß § 315e HGB nach IFRS bilanzierende Unternehmen kann von diesem Wahlrecht erst Gebrauch machen, wenn der Standard im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht ist. Es reicht aus, wenn diese Veröffentlichung bis zur Freigabe des Abschlusses erfolgt. Erfolgt sie nachher, bleibt dem europäischen Unternehmen die Möglichkeit der early adoption verwehrt.

In Einzelfällen, so beim Konsolidierungspaket IFRS 10 bis IFRS 12, hat die EU die Pflichtanwendung wegen der Komplexität der Neuerungen gegenüber dem in den Standards selbst vorgesehenen Zeitpunkt (1.1.2013) zeitlich verschoben (1.1.2014).

Das im nachfolgenden Kapitel in seinem Aufbau erläuterte IFRS-Regelwerk unterliegt nicht in allen Teilen dem EU-Endorsement. Vielen Standards hat der IASB mehr oder weniger umfangreiche Umsetzungsleitlinien (Implementation Guidances) oder erläuternde Beispiele (Illustrative Examples) beigefügt. Da der IASB diese jedoch nicht als integralen Teil der Standards, sondern lediglich als "Begleitmaterialien" deklariert, ihnen also die formale "Gesetzesqualität" fehlt, bleiben sie auch im Endorsement-Prozess unberücksichtigt. Sie werden nicht amtlich übersetzt und nicht im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Für den Anwender ist diese Situation unbefriedigend.

 

Beispiel

Im Konzern X hat das in Exotistan tätige Tochterunternehmen T gegen dortige Umweltgesetze verstoßen. Entsprechende Verstöße werden zwar nach der Papier- bzw. Gesetzeslage mit hohen Geldstrafen sanktioniert, aber nicht in der durch Korruption und Ineffizienz geprägten Rechtspraxis.

Der Bilanzbuchhalter der X ist sich nicht sicher, ob er eine Rückstellung für Geldstrafen berücksichtigen muss.

Er zieht den einschlägigen Standard IAS 37 in amtlicher deutscher Übersetzung, also ohne Implementation Guidance zurate und interpretiert die eher abstrakten Vorschriften in dem Sinne, dass es auf das rechtliche Bestehen einer Verpflichtung ankommt und die tatsächlich zu beobachtenden Mängel in der Rechtsdurchsetzung unerheblich sind. Er setzt daher eine Rückstellung an.

Diese Lösung ist leider falsch. Die Implementation Guidance zu IAS 37 enthält ein Example 6, dem zufolge es bei sanktionsbewehrten Umweltvorschriften auf die Qualität der Rechtsdurchsetzung (stringency of the enforcement regime) ankommt.

Die EU-Kommission empfiehlt in einem Arbeitspapier vom November 2003:[1]"Die Anwender von IAS sollten zudem einzelne IAS und Interpretationen einsehen, um sicherzustellen, dass etwaige Anhänge und Umsetzungsleitlinien bei der Bestimmung der angemessenen Anwendung der IAS entsprechend berücksichtigt werden." Die Kommission konzedierte angesichts der ...

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