Aufgrund der unterschiedlichen Regelung zur Beweislast und Mitwirkungspflicht können sich das steuerliche und das strafrechtliche Verfahren unterschiedlich entwickeln. Unabhängig hiervon können sich unterschiedliche Ergebnisse auch aufgrund unterschiedlicher fachlicher Kompetenzen der Finanz- und der Strafgerichte ergeben.

Zeitliche Reihenfolge der Verfahren

So kann es für den Beschuldigten im Einzelfall günstiger sein, eine spezifisch steuerrechtliche Frage zunächst im Besteuerungsverfahren – notfalls mithilfe des Finanzgerichts – klären zu lassen, bevor ein Strafrichter im Strafverfahren entscheidet. Ohne Strafrichtern hier zu nahe treten zu wollen, so zeigt doch die Erfahrung in der Praxis, dass Strafrichter nicht selten Unsicherheiten in der rechtlichen Beurteilung steuerrechtlicher Einzelfragen zeigen. Es kann daher für den Angeklagten misslich sein, wenn das Strafverfahren zügiger als das Besteuerungsverfahren geführt wird. Oftmals entscheiden sich Steuerstrafverfahren bereits im Steuerrecht. Denn ist bereits kein steuerrechtlicher Fehler als Voraussetzung des objektiven Tatbestandes gegeben, so scheidet eine Steuerhinterziehung bereits aus diesem Grunde aus. Wenn zudem selbst ein Finanzgericht deutlich macht, dass eine steuerrechtliche Rechtsfrage komplex ist und deren Lösung nicht direkt auf der Hand liegt, so kann der Verteidiger diese Sichtweise in das Strafverfahren einführen und als Indiz gegen den Vorsatz verwenden.

Umgekehrt kann im Einzelfall allerdings auch ein zeitlich vorgelagertes Strafverfahren nützlich sein, wenn der Verteidiger den Strafrichter gut einschätzen kann und es im Kern eher um eine strafrechtliche Frage (z. B. Vorsatz) geht. Denn der Vorsatz kann dann auch im Besteuerungsverfahren eine Rolle spielen (z. B. für die Dauer der verlängerten Festsetzungsverjährung gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO).

Doch eine zeitliche Abstimmung beider Verfahren ist in der Praxis oft mit Hürden verbunden, so dass der Verteidiger nur versuchen kann, diese zu umschiffen und eine zeitliche Koordinierung beider Verfahren zu erreichen. Der rechtliche Hebel hierzu ergibt sich aus § 396 AO. So kann im Einzelfall ein Antrag gem. § 396 AO auf Aussetzung des Strafverfahrens hilfreich sein, wenn steuerliche Rechtsfragen zunächst durch das Finanzgericht zu klären sind.

Inhaltliche Koordinierung

Eine vorschnelle Einigung im steuerlichen Verfahren ist nicht empfehlenswert solange nicht absehbar ist, welche Konsequenzen im Straf- oder Bußgeldverfahren drohen. So kann eine tatsächliche Verständigung im steuerlichen Verfahren vom Strafrichter ggf. als Indiz für ein Schuldeingeständnis gewertet werden. Daher sollte bei der Formulierung der tatsächlichen Verständigung durch eine Formulierung sichergestellt werden, dass sie nicht als ein solches Schuldeingeständnis angesehen werden kann. Wenn die Verfahren von unterschiedlichen Bevollmächtigten geführt werden, so sollte eine Kommunikation zwischen beiden laufend erfolgen. Insbesondere sollte der steuerliche Bevollmächtigte den Hinweis erhalten, z. B. im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung eine etwaige tatsächliche Verständigung erst nach Rücksprache mit dem Verteidiger im Straf- oder Bußgeldverfahren in die Wege zu leiten.

Ein wichtiger Aspekt ist auch die sog. Übernahme-Rechtsprechung des BFH. Zwar entscheidet ein Finanzgericht selbst, ob eine Hinterziehung vorliegt oder nicht.[1] Der BFH erleichtert es jedoch den Finanzgerichten in der Praxis, die Feststellungen eines Strafurteils zu übernehmen. Nach der sog. Übernahme-Rechtsprechung verletzt ein Finanzgericht seine ihm obliegende Sachaufklärungspflicht nicht dadurch, dass es sich die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafverfahrens zu eigen macht, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung diese Feststellungen zutreffend sind.[2] Tatsächlich ermöglicht diese Rechtsprechung eine weitgehende faktische Bindung, so dass in der Praxis der Wille des Finanzgerichts eine wichtige Rolle spielt, ob es dem Strafurteil folgen will oder nicht.

Der BFH ermöglicht es jedoch dem Kläger, substantiierte Einwendungen gegen ein Strafurteil vorzutragen. Entscheidend ist, ob sich dem Finanzgericht aufgrund des Klagevorbringens und des Akteninhalts eine weitere Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen muss. So soll die Bindung nach der Übernahme-Rechtsprechung nur gelten, wenn die Tatsachen, auf die es ankommt, bereits im Strafverfahren rechtskräftig festgestellt worden sind, die Beteiligten die im Strafurteil getroffenen Feststellungen als zutreffend anerkennen bzw. keine substantiierten Einwendungen dagegen erheben und für das Finanzgericht kein Grund besteht, gleichwohl eine weitere Aufklärung vorzunehmen.[3]

 
Hinweis

Übernahme-Rechtsprechung beachten

Die weitere Konkretisierung der Übernahme-Rechtsprechung bleibt abzuwarten. Es sollten beim Finanzgericht sämtliche Einwände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht so substantiiert wie möglich vorgetragen wer...

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