Leitsatz

1. Ein selbstständiger Erziehungsbeistand kann sich für die Steuerfreiheit der von ihm erbrachten Betreuungsleistungen auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL auch dann berufen, wenn die Kosten für diese Leistungen über eine Personengesellschaft abgerechnet und damit (nur) mittelbar von einem öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe getragen werden.

2. Seit dem 1.1.2008 sind die Leistungen eines selbstständigen Erziehungsbeistands nach § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei, wenn sie im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil unmittelbar oder mittelbar durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe vergütet wurden.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 25, § 2 Abs. 1 und 2, § 19 UStG, Art. 9, 10, 132 Abs. 1 Buchst. h EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), §§ 2 Abs. 2, 27 Abs. 1 und 2, 30, 75 SGB VIII

 

Sachverhalt

Der Kläger ist als Erziehungsbeistand für eine GbR tätig. Seine Leistungen sah er zunächst als steuerpflichtig, ab dem Streitjahr 2007 aber als steuerfrei an. Das Finanzamt ging weiter von einer Steuerpflicht aus. Die Klage zum Finanzgericht (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.11.2015, 6 K 1361/12, Haufe-Index 8750914, EFG 2016, 72) hatte Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte im Ergebnis das Urteil der Vorinstanz. Für das Streitjahr 2007 ergebe sich die die Steuerfreiheit aus dem Unionsrecht, für die Streitjahre ab 2008 allerdings bereits aus der Neufassung von § 4 Nr. 25 UStG.

 

Hinweis

1. § 4 Nr. 25 UStG in der seit 1.1.2008 geltenden Fassung befreit auch die Leistungen der Erziehungsbeistände. Für Zeiträume davor stellt sich die Frage, ob sich eine Steuerfreiheit aus einer Berufung auf das Unionsrecht ergeben kann.

2. Steuerfrei sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL"eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen".

Diese Bestimmung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen handeln und der leistende Unternehmer muss als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein.

a) Der Erziehungsbeistand leistet Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 27 Abs. 1 und 2 und § 30 SGB VIII). Es handelt sich um eine eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Leistung.

b) Die Anerkennung eines Erziehungsbeistandes als Einrichtung mit sozialem Charakter kann aus § 30 SGB VIII als spezifischer Vorschrift im Bereich der sozialen Sicherheit, dem Gemeinwohlinteresse an der Tätigkeit, einer mittelbaren Kostenübernahme durch das Jugendamt sowie aus dem Neutralitätsprinzip abgeleitet werden.

aa) Nach § 30 SGB VIII soll der Erziehungsbeistand das Kind oder den Jugendlichen bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfelds unterstützen und unter Erhaltung des Lebensbezugs zur Familie seine Verselbstständigung fördern.

Zwar wird der Erziehungsbeistand ohne förmliches Bestellungsverfahren beauftragt. Für die Anerkennung kann aber eine (formlose) Bestellung zum Erziehungsbeistand genügen. Diese kann sich z.B. daraus ergeben, dass die vom Jugendamt kontaktierte GbR mit dem Erziehungsbeistand den konkreten Fall erörtert, die GbR dem Jugendamt dann unter Nennung des Subunternehmers einen Kostenvoranschlag unterbreitet und das Jugendamt schließlich den Auftrag ggf. mündlich erteilt. An dieser Tätigkeit als Erziehungsbeistand besteht auch ein besonderes Gemeinwohlinteresse.

bb) Zudem kann eine nur mittelbare oder "durchgeleitete" Kostentragung für eine Anerkennung sprechen, wenn auch eine direkte Beauftragung möglich ist. Die erforderliche gesetzliche Grundlage, damit eine Kostentragung zu einer Anerkennung führen kann, ergibt sich aus § 36 Abs. 2 SGB VIII.

cc) Von besonderer Bedeutung ist, dass der BFH, ohne dass dies aus der EuGH-Rechtsprechung unmittelbar ableitbar ist, die EuGH-Rechtsprechung zur Freiheit des Organisationsmodells im Bereich der steuerfreien Finanzdienstleistungen (EuGH-Urteile vom 7.3.2013, C–275/11, GfBk, EU:C:2013:141, Leitsatz 3, sowie Rz. 30 und 31, vom 22.2.2001, C–408/98, Abbey National, EU:C:2001:110, vom 21.6.2007, C–453/05, Ludwig, EU:C:2007:369, Rz. 35) auf den Sozialbereich überträgt. Danach sei auch im Sozialbereich nicht zwischen einer unmittelbaren Beauftragung durch das Jugendamt und einer mittelbaren Beauftragung durch die GbR zu unterscheiden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.6.2016 – V R 46/15

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