Rz. 92

In der Handelsbilanz sind Rückstellungen gem. § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB grundsätzlich i. H. d. nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen, wobei auch künftige Kosten- und Preissteigerungen bei der Rückstellungsbewertung zu berücksichtigen sind.[1] Dagegen sind in der Steuerbilanz gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend; künftige Kosten- und Preissteigerungen finden keine Berücksichtigung. Insofern wird das Maßgeblichkeitsprinzip durch den Bewertungsvorbehalt des § 5 Abs. 6 EStG durchbrochen.

 

Rz. 93

Da bei Rückstellungen für künftige Verpflichtungen deren Grund wahrscheinlich, die Höhe und/oder der Fälligkeitszeitpunkt jedoch ungewiss sind, lässt sich die Rückstellungshöhe nicht eindeutig punktuell bestimmen. Aufgrund der Unsicherheit der Erwartungen ist insofern im Zuge der Sachverhaltsabbildung eine Bandbreite zu bestimmen, deren Ober- und Untergrenze durch den denkbar ungünstigsten bzw. günstigsten Wert bestimmt wird.[2] Dieser Schätzmaßstab eröffnet dem Bilanzierenden einen bilanzpolitischen Ermessensspielraum, der nur bedingt nachprüfbar ist.[3] Generell gilt, dass mit einer höheren Dotierung der Rückstellungen ein niedrigerer steuerlicher Gewinn einhergeht, der dem Steuerpflichtigen einen Zins- und Liquiditätsvorteil einräumt. Jener kehrt sich (künftig) in sein Gegenteil um, wenn der Grund, die Höhe sowie die Fälligkeit der Verpflichtung feststehen und die Rückstellung aufzulösen bzw. in eine Verbindlichkeit umzubuchen ist.

 

Rz. 94

Gleichwohl wird eine willkürliche Festlegung der Bandbreite durch das in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB verankerte Vorsichtsprinzip als Bewertungsregel bei Ermessensspielräumen vermieden.[4] Hieraus folgt jedoch nicht, dass Rückstellungen stets mit dem ungünstigsten Betrag anzusetzen sind, denn auch Informationen, die eine günstigere Beurteilung erlauben, sind einzubeziehen. Der Umfang der Bandbreite wird demzufolge durch die zugrunde liegenden Informationen und Erfahrungswerte determiniert.[5] Dem Vorsichtsprinzip entsprechend ist aus der Bandbreite stets der etwas pessimistischere als der wahrscheinlichste Wert auszuwählen.[6] Unabhängig davon, ob sich der gewählte Wert im unteren oder im oberen Bereich der Bandbreite befindet, muss die Höhe der gebildeten Rückstellung gem. § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG durch einen Dritten nachvollzogen werden können.

[1] Vgl. zu Überlegungen, die auf künftige Kosten- und Preissenkungen fokussieren, Meyering/Gröne, BFuP 2014, S. 465 ff.
[2] Vgl. Fülbier/Federsel, in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung – Einzelabschluss, § 252 HGB Rz. 77, Stand: 2021 (32. Erg.-Lief.).
[3] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995, § 253 HGB Rz. 189 f.
[4] Vgl. Naumann/Breker/Siebler/Weiser, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, Abt. I/7 Rz. 210 ff., Stand: 2013 (56. Erg.-Lief.).
[5] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995, § 253 HGB Rz. 190.
[6] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995, § 252 HGB Rz. 68. Leffson sieht dagegen einen Wert im unteren Bereich der Bandbreite, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (ca. 90 %) der Risikosituation entspricht, als dem Vorsichtsprinzip entsprechend an. Vgl. Leffson, Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 1987, S. 479.

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