Rz. 71

Nach Ergehen des BilMoG, verbunden mit der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit, wurde im Schrifttum kontrovers die Frage diskutiert, ob sich bei Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Wertminderung wie bislang die handelsrechtliche Pflicht zu einer außerplanmäßigen Abschreibung auf den niedrigeren Börsen-/Marktpreis bzw. beizulegenden Wert (§ 253 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 HGB) auf die Steuerbilanz auswirkt, d. h. ob das Abschreibungswahlrecht[1] auf den niedrigeren Teilwert nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 EStG faktisch zur Pflicht wird.[2]

 

Rz. 72

Das BMF-Schreiben v. 12.3.2010 interpretiert § 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz EStG dahingehend, dass ein pauschaler Vorbehalt steuerlicher Wahlrechte existiert, weswegen das Wahlrecht zur Teilwertabschreibung seit dem Wegfall der umgekehrten Maßgeblichkeit im Zuge der Sachverhaltsabbildung autonom auszuüben ist.[3] Dieser bei wörtlicher Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG und aufgrund von dessen inhaltlich zu weit geratenem Wortlaut wenig zu beanstandenden Auslegung[4] lassen sich zahlreiche Gegenargumente anführen,[5] insbesondere die Frage, warum handelsrechtliche GoB, die nach wie vor maßgeblich für die Steuerbilanz sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG), zugunsten steuerlicher Wahlrechte mit Ausnahme steuersubventioneller Wahlrechte sinnentleert sein sollen.[6] Darüber hinaus besteht nun beim vollständigen Untergang eines Wirtschaftsguts ein steuerbilanzielles Wahlrecht, weswegen bei dessen Nichtinanspruchnahme ein physisch nicht mehr existentes Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz verbliebe, was dem (nicht kodifizierten) GoB der Bilanzwahrheit zuwiderliefe. Zusammenfassend hätte die Einordnung des Themas "Teilwertabschreibung" innerhalb des BMF-Schreibens v. 12.3.2010 sachgerecht unter § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG und nicht unter den 2. Halbsatz derselben Rechtsvorschrift erfolgen müssen.

 

Rz. 73

Da das Wahlrecht zur Teilwertabschreibung nur bei Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Wertminderung – anderenfalls besteht ein Verbot – in Anspruch genommen werden kann, ist eine genauere Untersuchung dieser für steuerbilanzpolitische Zwecke wichtigen Differenzierung notwendig. Generell besteht stets (unter Berücksichtigung werterhellender Erkenntnisse) die Möglichkeit zur Teilwertabschreibung bei besonderen Anlässen, z. B. Katastrophen, technischer Fortschritt und drohende Insolvenz.[7] Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens können auf ihren niedrigeren Teilwert abgeschrieben werden, falls dieser für mindestens die Hälfte der Restnutzungsdauer unterhalb dem planmäßigen Restbuchwert liegt.[8] Dabei ist die Restnutzungsdauer aus objektiven Gründen bei Gebäuden nach § 7 Abs. 4, 5 EStG und bei anderen Wirtschaftsgütern nach den AfA-Tabellen zu bemessen.[9]

 

Rz. 74

Bei Wirtschaftsgütern des nicht abnutzbaren Anlagevermögens sahen das BMF v. 25.2.2000 sowie das FG Köln v. 21.6.2006 ursprünglich Kursschwankungen bei börsennotierten Wertpapieren stets als nur vorübergehend an.[10] Demgegenüber nahm der BFH v. 26.9.2007 eine voraussichtlich dauernde Wertminderung an, wenn der Kurswert zum Bilanzstichtag unter die Anschaffungskosten gesunken ist und zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung keine konkreten Anhaltspunkte für ein alsbaldiges Ansteigen des Kurses vorliegen. Der pauschalierten Unterstellung des künftigen Ausgleichs jetzt eingetretener Wertminderungen seitens des BMF erteilte der BFH zurecht eine Absage, da anderenfalls § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG ins Leere liefe. Im konkreten Fall wurde im Wirtschaftsjahr 2001 ein Paket Aktien zu 44,50 EUR/Stück erworben. Am Bilanzstichtag belief sich der Börsenkurs auf 22,70 EUR/Stück, bei Bilanzaufstellung auf 26 EUR/Stück. Der BFH erkannte eine Teilwertabschreibung i. H. v. 18,50 EUR/Stück auf 26 EUR/Stück an.[11] Das BMF v. 26.3.2009 akzeptierte dieses Urteil, relativierte es jedoch aus Gründen der Bewertungsstetigkeit und Verwaltungsökonomie dergestalt, dass nicht jedwedes Absinken, sondern nur das Absinken des Kurswerts innerhalb einer gewissen Bandbreite in der Steuerbilanz nachzuvollziehen ist, wobei zusätzliche Erkenntnisse bis zur Aufstellung der Handelsbilanz bzw. subsidiär der Steuerbilanz zu berücksichtigen sind. Hiernach musste der Börsenkurs am aktuellen Bilanzstichtag um mehr als 40 % oder die Börsenkurse am aktuellen und vorangegangenen Bilanzstichtag jeweils um mehr als 25 % unter den Anschaffungskosten liegen. Wie willkürlich beide Typisierungen vorgenommen wurden, belegte das Urteil des FG Münster v. 31.8.2010, das sich für Prozentsätze von "25 %" anstelle von "40 %" und von "10 %" anstelle von "25 %" aussprach.[12]

Dem widersprachen wiederum der BFH in seinem Urteil v. 21.9.2011 sowie das BMF v. 2.9.2016, wonach unabhängig von typisierenden Bandbreiten und unter Berücksichtigung werterhellender Erkenntnisse grundsätzlich jede Minderung des Kurswerts die Annahme einer voraussichtlich dauernden Wertminderung rechtfertigen könne. Von einer solchen ist grundsätzlich da...

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