Rz. 33

Ebenfalls wie das Realisationsprinzip ist das Imparitätsprinzip in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB kodifiziert. Hiernach sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind.

Unter "Verluste" sind sog. negative Erfolgsbeiträge zu verstehen, die als Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen werden.[1] Aufwendungen werden in das abgelaufene Geschäftsjahr vorgezogen (antizipiert), obwohl sie noch nicht realisiert worden sind. Durch das Imparitätsprinzip werden also Aufwendungen den Erträgen (Rz. 31) ungleich (impar) behandelt. Daher der Name "Imparitätsprinzip".

 

Rz. 34

Durch Vorwegnahme der vorhersehbaren Risiken und Verluste soll verhindert werden, dass Beträge ausgeschüttet werden, die in der Zeit nach dem Bilanzstichtag benötigt werden, um negative Erfolgsbeiträge des abgelaufenen Geschäftsjahres zu decken. Das Imparitätsprinzip bezweckt daher die Kapitalerhaltung und sichert so die Fortführung der Unternehmen. Hiermit wird dem Vorsichtsgedanken Rechnung getragen.

 

Rz. 35

Die Verlustantizipation wird gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB durch 2 Voraussetzungen beschränkt:

  1. Die Risiken und Verluste müssen bis zum Abschlussstichtag entstanden sein.
  2. Sie müssen vorhersehbar sein.
 

Rz. 36

Bei der Bilanzierung wird das Imparitätsprinzip durch das Gebot der Bilanzierung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB konkretisiert (Rz. 21). In den Bewertungsvorschriften des § 253 Abs. 3 und 4 HGB kommt es zum Ausdruck im Niederstwertprinzip für die Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (Rz. 71 ff.) und Umlaufvermögens (Rz. 82 ff.).

 
Praxis-Beispiel

Unternehmer U kaufte am 15.12.01 30.000 kg Rohstoffe zum Festpreis von 20 EUR pro kg. Dieser Preis entsprach am 15.12.01 dem Marktpreis. Geliefert wurde am 10.1.02. Am Bilanzstichtag (31.12.01) betrug der Marktpreis für die Rohstoffe nur noch 18,60 EUR pro kg. U hätte daher zum 31.12.01 die Rohstoffe für 18,60 EUR pro kg einkaufen können.

Zum 31.12.01 waren die Rohstoffe noch nicht geliefert. U konnte daher noch keine Verbindlichkeit ausweisen. Es handelt sich um ein schwebendes Geschäft. Aus Sicht des U und des Bilanzstichtags 31.12.01 hatte U aufgrund des Kaufvertrags eine Zahlungsverpflichtung (netto) in Höhe von

 
30.000 × 20 EUR 600.000 EUR
Der Warenwert betrug 30.000 × 18,60 EUR = 558.000 EUR
Differenz 42.000 EUR

Aus Sicht des Bilanzstichtags hatte U daher einen Verlust aus dem Kaufvertrag in Höhe von 42.000 EUR. In dieser Höhe hatte U zum 31.12.01 eine Rückstellung wegen drohenden Verlustes aus schwebendem Geschäft nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB auszuweisen. Hierdurch wird bewirkt, dass U bei den Ausschüttungen bzw. Entnahmen für das Jahr 01 durch die Rückstellung des drohenden Verlustes eingeschränkt ist. Er muss also so viel im Betriebsvermögen lassen, dass der drohende Verlust abgedeckt ist.

 

Rz. 37

Drohende Verluste können in einer solchen Höhe bestehen, dass der Fortbestand eines Unternehmens gefährdet ist, wenn Entnahmen oder Ausschüttungen in dieser Höhe erfolgen. Das Rückstellungsgebot dient daher der Kapitalerhaltung und dem Gläubigerschutz.

 

Rz. 38

In Steuerbilanzen sind Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften nicht zulässig, § 5 Abs. 4a Satz 1 EStG (Ausnahme: § 5 Abs. 4a Satz 2 EStG).

 

Rz. 39

Für die Praxis ergibt sich die Folge, dass, soweit die Voraussetzungen für Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften bestehen, sie handelsrechtlich ausgewiesen werden müssen, steuerrechtlich aber nicht bilanziert werden dürfen, mithin handelsrechtlich und steuerrechtlich abweichend bilanziert werden muss.

Es ist sorgfältig zwischen den Voraussetzungen für Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften abzugrenzen.

 

Rz. 40

Es ist ferner die Abgrenzung zwischen dem Ansatz einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und der Bewertung zum niedrigeren Wert (handelsrechtlich) oder mit dem niedrigeren Teilwert (steuerrechtlich) zu beachten.

 
Praxis-Beispiel

Im vorstehenden Beispiel wurden die Rohstoffe noch bis zum 31.12.01 geliefert. Sie sind dann mit den niedrigeren Wiederbeschaffungskosten zum 31.12.01 auszuweisen. In der Handelsbilanz sind sie mit dem niedrigeren beizulegenden Zeitwert am Abschlussstichtag in Höhe von 558.000 EUR auszuweisen.[2] In der Steuerbilanz besteht ein Wahlrecht, sie mit dem niedrigeren Teilwert anzusetzen, wenn die Wertminderung voraussichtlich von Dauer ist.[3] Es besteht eine Vermutung bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, um die es sich hier handelt, dass der Teilwert den Wiederbeschaffungskosten am Bilanzstichtag entspricht.[4]

[1] Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 7. Aufl. 1987, S. 339 ff.
[4] Kulosa, in Schmidt, ...

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