Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit eines Steuerverwaltungsakts und damit auch eines Steuerbescheids ist gem. § 124 Abs. 1 AO, dass er demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, bekannt gegeben wird. Die Bekanntgabe hat insbesondere zur Folge, dass

  • der Steuerbescheid vom Finanzamt grundsätzlich einseitig nicht mehr geändert oder aufgehoben werden kann;
  • für den Adressaten die Einspruchsfrist zu laufen beginnt[1];
  • der Inhalt des Steuerbescheids als solcher für den Adressaten schon wirksam, also zu befolgen ist.[2]

Eine wirksame Bekanntgabe erfordert

  • die richtige Bezeichnung des materiellen (Steuerschuldner) und ggf. formellen (Dritter, der für den Steuerschuldner steuerliche Pflichten zu erfüllen hat) Adressaten;
  • den tatsächlichen Zugang beim Adressaten oder ggf. bei dessen Empfänger[4];
  • den Bekanntgabewillen der erlassenden Behörde, also des Finanzamts; der Bekanntgabewille muss von einem Bediensteten als Amtsträger i. S. d. § 7 AO gebildet werden, der nach seiner internen Stellung zum Erlass eines Verwaltungsakts generell befugt ist. Verstöße gegen interne Zuständigkeits- oder Zeichnungsbefugnisse bei Erlass des Steuerbescheids haben auf den Bekanntgabewillen keinen Einfluss. Ob ein Bekanntgabewille vorliegt, ist durch Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Übergibt z. B. das Finanzamt dem Steuerpflichtigen nach bereits erfolgter Bekanntgabe eines Steuerbescheids später lediglich zu Informationszwecken eine Kopie dieses Bescheids, liegt hierin keine (erneute oder erstmalige) Bekanntgabe, die eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnen würde.[5]
 
Wichtig

Aufgabe des Bekanntgabewillens

In der Praxis kann es vorkommen, dass ein zunächst vorhandener Bekanntgabewille vom Finanzamt aufgegeben wird (z. B. wenn nach interner Freigabe des Bescheids zur Versendung ein Fehler entdeckt wird), der Versand des betreffenden Bescheids aber aus technischen Gründen nicht mehr verhindert werden kann. In einem solchen Fall kann die Behörde zwar den Bekanntgabewillen aufgeben. Dies erfordert aber zum einen, dass die Aufgabe des Bekanntgabewillens in den Akten klar und eindeutig dokumentiert wird, und zum anderen, dass der Bekanntgabewillen aufgegeben sein muss, bevor der Bescheid den Herrschaftsbereich der Behörde verlassen hat (i. d. R. der Tag der Aufgabe des maschinellen Bescheids zur Post).[6] Der Empfänger des betreffenden (unwirksamen) Steuerbescheids ist unverzüglich über die Aufgabe des Bekanntgabewillens zu unterrichten.[7]

Bleibt die Frage, ob das Finanzamt die Bekanntgabe und damit die Wirksamkeit des Bescheids auch dann noch verhindern kann, wenn der Bescheid die Schwelle der Behörde überschritten hat. Die Frage stellt sich in der Praxis vor allem dann, wenn der Bearbeiter selbst oder ein Kollege (z. B. sein Vorgesetzter) nach Postaufgabe einen Fehler im Bescheid feststellt. Ist das Finanzamt nunmehr ausschließlich auf das Korrekturrecht der AO angewiesen oder gibt es noch einen anderen, vielleicht einfacheren Weg?

 
Achtung

Widerruf des Bescheids vor Zugang

Der BFH hat einen solchen Weg aufgezeigt, der zeitlich freilich sehr begrenzt ist. Unabhängig vom Zeitpunkt der Aufgabe des Bekanntgabewillens wird ein Bescheid auch dann nicht wirksam, wenn die Behörde dem Empfänger vor oder mit dem Zugang des Bescheids – schriftlich oder mündlich – mitteilt, der Bescheid solle nicht gelten und ein neuer Bescheid erlassen werden.[8] Im Streitfall hatte der Bescheid vormittags die Behörde verlassen. Bevor er am nächsten Tag zuging, hatte ihn der Sachbearbeiter nachmittags gegenüber dem Steuerpflichtigen wegen eines inhaltlichen, sich zu dessen Gunsten auswirkenden Fehlers telefonisch widerrufen. Der Weg für einen neuen Bescheid war damit frei.

Hinsichtlich des Zugangs kommt es nicht auf den tatsächlichen, sondern auf den nach § 122 Abs. 2 AO fingierten Zeitpunkt an. Das heißt, der Widerruf kann auch dann noch am 3. Tag nach Postaufgabe des Bescheids erfolgen[9], wenn dieser den Empfänger schon früher erreicht hat.[10] Der BFH wendet auch in anderen Zusammenhängen zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen strikt die Fiktion des § 122 Abs. 2 AO an, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich früher zuging, z. B. für den Zinslauf nach § 233a AO[11] oder die Einspruchsrücknahme nach verbösernder Einspruchsentscheidung.[12]

Bei der Beurteilung der Rechtsfolgen von Bekanntgabemängeln ist zu unterscheiden zwischen einem – heilbaren – in der Bekanntgabe als tatsächliche Handlung liegenden – und einem nicht heilbaren, weil zur Nichtigkeit des Bescheids führenden – Mangel in der Adressierung, also in der Bezeichnung des Steuerschuldners.[13] Die Möglichkeit der Heilung bei Mängeln im Bekanntgabevorgang besteht insbesondere bei tatsächlichem Erhalt des Steuerbescheids[15] und wirksamer Bekanntgabe einer – nach zulässigem Einspruch ergangenen – Einspruchsentscheidung.[16]

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