Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob die Leistungen einer britischen Personengesellschaft, die Heime für betreutes Wohnen betreibt, umsatzsteuerfrei gemäß Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und Buchst. h der 6. EG-Richtlinie sind.

Die Klägerin ist eine Personengesellschaft, die im Vereinigten Königreich Heime für betreutes Wohnen (Unterbringung und Verpflegung von Erwachsenen und Kindern mit Lernschwierigkeiten) betreibt. Die Personengesellschaft erzielt ihre Umsätze mit Gewinnerzielungsabsicht und ist keine karitative Organisation (Charity) nach britischem Recht.

Auslöser des Rechtstreits war eine im Vereinigten Königreich mit Wirkung vom 21.3.2002 vorgenommene Gesetzesänderung. Bis zu diesem Zeitpunkt waren nur Sozialfürsorgeleistungen bzw. damit verbundene Lieferungen von der Umsatzsteuer befreit, die von einer karitativen Organisation oder öffentlichen Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht erwirtschaftet wurden. Mit Wirkung vom 21.3.2002 fielen unter die Steuerbefreiung auch vergleichbare Leistungen einer staatlich kontrollierten privaten Sozialeinrichtung oder -organisation. Zu den Sozialfürsorgeleistungen gehören Leistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang stehen mit der Betreuung, Behandlung oder Erziehung alter, bedürftiger oder behinderter Menschen zur Förderung von deren körperlichem oder geistigem Wohl bzw. Leistungen, die in der Betreuung oder dem Schutz von Kindern und Jugendlichen bestehen. Werden die Leistungen von einer staatlich kontrollierten privaten Sozialeinrichtung erbracht, sind nur die Leistungen steuerfrei, für die die Einrichtung der staatlichen Kontrolle unterliegt.

Unstreitig war, dass die von der Personengesellschaft erzielten Umsätze Sozialfürsorgeleistungen i.S.d. britischen Rechts sind und dass es sich bei der Gesellschaft um eine staatlich kontrollierte private Sozialeinrichtung i.S.d. nationalen Vorschriften handelt.

Die Klägerin war der Meinung, ihre Umsätze müssten - wie bis zum 20.3.2002 auch - als steuerpflichtig behandelt werden. Sie machte dazu geltend, dass Artikel 13 Teil Abs. 1 Buchst. g und h der 6. EG-Richtlinie fordern, dass die Leistungen nicht öffentlicher Einrichtungen nur dann umsatzsteuerfrei sind, wenn sie von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt sind. Die englische Sprachfassung der Richtlinienbestimmung spricht in diesem Zusammenhang von "recognized as charitable". Der gemeinschaftsrechtliche Begriff charitable müsse aber genau so ausgelegt werden, wie der im britischen Recht verwendete Begriff. Sozialfürsorgeleistungen von "karitativen Organisationen" sind im britischen Recht ohne weitere Voraussetzung umsatzsteuerfrei. Eine solche Einrichtung liegt nach britischem Recht nicht vor, wenn es sich um eine Einrichtung mit Gewinnerzielungsabsicht handelt. Das britische Recht definiert eine karitative Einrichtung als jede Einrichtung, die für karitative Zwecke gegründet wurde und unabhängig davon, ob sie Rechtspersönlichkeit besitzt, der gerichtlichen Kontrolle über karitative Organisationen unterliegt. Die Klägerin machte geltend, wegen ihrer Gewinnerzielungsabsicht könne sie nicht den Begriff der Einrichtung mit sozialem (karitativem) Charakter im Sinne von Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h erfüllen.

 

Entscheidung

Nach dem EuGH-Urteil kann die Steuerbefreiung auch auf die Leistungen der Klägerin Anwendung finden. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung stellen die in Artikel 13 vorgesehenen Befreiungen eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts dar und erfordern daher eine gemeinschaftsrechtliche Definition. Die Definition steht daher nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Das Wort "charitable" in der englischen Sprachfassung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchst. g und h der 6. EG-Richtlinie stellt nach dem Urteil ebenfalls einen eigenständigen Begriff des Gemeinschaftsrechts darstellt, der unter Berücksichtigung aller Sprachfassungen der 6. Richtlinie auszulegen ist.

Bereits in seinem Urteil vom 10.9.2002, C-141/00 (Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH) hatte der EuGH entschieden, dass die Mitgliedstaaten ein Wahlrecht haben, bestimmte Einrichtungen mit sozialem Charakter im Sinne von Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der 6. EG-Richtlinie anzuerkennen. Solange ein Mitgliedstaat das ihm dabei eingeräumte Ermessen beachtet, besteht ein unmittelbares Berufungsrecht des Einzelnen nicht. Der EuGH hat in diesem Fall dem nationalen Gericht die Prüfung überlassen, ob die Grenzen des Ermessens unter Beachtung allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts eingehalten worden sind. Hierbei ist insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung zu berücksichtigen. Dies bestätigt der EuGH mit seinem jetzigen Urteil.

 

Hinweis

Im Übrigen bestätigt der EuGH auch, dass die Steuerbefreiung unabhängig von der Rechtsform der Einrichtung ist (so EuGH vom 10.9.2002, C-141/00 (Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH) zu Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie). Nach dem jetzigen Urteil sch...

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