Sachverhalt

Bei dem britischen Verfahren ging es um die Auslegung der Steuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsatz gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) sowie insbesondere die Anwendung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität. Dieser Grundsatz wurde durch die EuGH-Rechtsprechung entwickelt und entspricht - im Zusammenhang des vorliegenden Verfahrens - im Wesentlichen dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Er hat im Rahmen des Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) besondere Bedeutung, da er bei der Umsetzung des Ermessensspielraums zu beachten ist, den diese Vorschrift den Mitgliedstaaten gewährt.

Die Klägerin betreibt u. a. verschiedene Glücksspielgeräte (mechanisiertes Cash-Bingo und Geldspielgeräte, sog. slot machines). Die Geräte wurden in bestimmten Zeiträumen zwischen den Jahren 2002 und 2005 jeweils mehrwertsteuerlich unterschiedlich behandelt. Differenziert wurde nach den Maßstäben des Glücksspielrechts u. a. nach der Höhe des Einsatzes, der Gewinnhöhe sowie der Art des Zufallsgenerators. Teilweise behandelte die britische Steuerverwaltung auch Umsätze entgegen der damals geltenden Gesetzeslage als steuerfrei.

Die Vorlagegerichte stellten dem EuGH aufgrund dieses Sachverhalts mehrere Fragen zum Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Obwohl erkennbar die Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie Hintergrund der Fragen ist, sind diese Fragen jedoch größtenteils sehr allgemein gestellt. Die Fragen richteten sich überwiegend formal sogar auf die Auslegung des Rechtsprechungsgrundsatzes und nicht auf die Auslegung einer konkreten Bestimmung des Unionsrechts.

Zu diesem Rechtsprechungsgrundsatz der steuerlichen Neutralität baten die Vorlagegerichte insbesondere um Auskunft,

  • auf welcher Abstraktionsebene eine Ungleichbehandlung zu prüfen ist (Frage Nr. 2 der Rs. C-260/10);
  • ob eine Ungleichbehandlung durch unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen ausgeschlossen ist (Frage Nr. 1 der Rs. C-260/10);
  • ob zusätzlich zur Ungleichbehandlung eine Wettbewerbsverfälschung festgestellt werden muss (Frage Nr. 1 der Rs. C-259/10);
  • unter welchen Bedingungen eine bloße Praxis der Steuerbehörden eine Verletzung des Grundsatzes darstellt (Fragen Nr. 2 bis 4 der Rs. C-259/10);
  • ob eine Verletzung des Grundsatzes ausgeschlossen ist, wenn der Mitgliedstaat die "gebotene Sorgfalt" beachtet hat (Frage Nr. 3 der Rs. C-260/10);
  • ob ein Steuerpflichtiger Gleichbehandlung im Unrecht verlangen kann (Frage Nr. 2 der Rs. C-259/10).
 

Entscheidung

Der EuGH hat unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung entschieden, dass es für die Verletzung des Grundsatzes der Neutralität genügt, wenn zwei aus der Sicht des Verbrauchers gleiche oder gleichartige Dienstleistungen, die dieselben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigen, hinsichtlich der MwSt unterschiedlich behandelt werden. Für das Vorliegen der Neutralitätsverletzung bedarf es also nicht der weiteren Voraussetzung, dass die fraglichen Umsätze tatsächlich in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen oder dass der Wettbewerb wegen der mehrwertsteuerlichen Ungleichbehandlung verzerrt ist.

Werden zwei Glücksspiele hinsichtlich ihrer Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie ungleich behandelt, ist es nach dem EuGH-Urteil für die Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes unerheblich, wenn die beiden Glücksspiele zu unterschiedlichen Lizenzkategorien gehören und unterschiedlichen rechtlichen Regelungen hinsichtlich ihrer Aufsicht und Regulierung unterliegen.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass bei der Prüfung der für den Neutralitätsgrundsatz erforderlichen Voraussetzung, ob zwei Arten von Geldspielautomaten gleichartig sind und die gleiche steuerliche Behandlung erfordern, zu untersuchen ist, ob die Benutzung dieser Gerätearten aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers vergleichbar ist und dieselben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigt, wobei insoweit insbesondere Gesichtspunkte wie die Mindest- und Höchsteinsätze und -gewinne und die Gewinnchancen berücksichtigt werden können.

Zur Frage der Gleichbehandlung im Unrecht hat der EuGH entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der die Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes geltend macht, nicht die Rückerstattung der für bestimmte Dienstleistungen entrichteten MwSt verlangen kann, wenn die Steuerbehörden des betreffenden Mitgliedstaats gleichartige Dienstleistungen in der Praxis wie steuerfreie Umsätze behandelt haben, obwohl diese Leistungen nach der gesetzlichen Regelung des Mitgliedstaats nicht steuerfrei waren.

Schließlich ist nach dem Urteil der Neutralitätsgrundsatz dahingehend zu verstehen, dass ein Mitgliedstaat, der vom Ermessen nach Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie Gebrauch gemacht und die Bereitstellung jeglicher Vorrichtungen für Glücksspiele steuerfrei gestellt hat, von der Befreiung jedoch eine Kategorie von bestimmte Kriterien erfüllenden Geräten ausgenommen ...

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