Leitsatz

1. Leistungen aus einem Stipendium, das einem ausländischen Mediziner (Gastarzt) von seinem Heimatland für dessen Facharztweiterbildung in Deutschland gewährt wird, können steuerbare wiederkehrende Bezüge gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 sowie Satz 3 Buchst. b EStG sein.

2. Voraussetzung hierfür ist, dass die Weiterbildung im Rahmen eines Dienst- oder diesem vergleichbaren Rechtsverhältnisses erfolgt, die Leistungen aus dem Stipendium an die Erfüllung der sich aus einem solchen Rechtsverhältnis ergebenden Verpflichtungen anknüpfen und darüber hinaus die fehlende Entlohnung aus jenem Rechtsverhältnis ausgleichen sollen. In diesem Fall stellt sich das Stipendium aus Sicht des Stipendiaten zumindest auch als Gegenleistung für seine im Rahmen der Weiterbildung erbrachte Tätigkeit dar.

3. Die Steuerbefreiung eines solchen Stipendiums nach § 3 Nr. 44 EStG ist ausgeschlossen, wenn der ausländische Gastarzt im Rahmen eines Dienstverhältnisses weisungsgebunden zur Ausübung ärztlicher Betätigungen verpflichtet ist.

 

Normenkette

§ 22 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 2 Buchst. a, Satz 3 Buchst. b, § 3 Nr. 11, § 3 Nr. 44 Satz 1, Satz 3 Buchst. b EStG

 

Sachverhalt

Die libysche Klägerin ist Ärztin. Sie erhielt nach ihrem Studium der Humanmedizin in Libyen von dort eine Stipendiumszusage für eine Facharztweiterbildung in Deutschland. Sie war im Streitjahr an der Universitätsklinik A als sog. Gastärztin zur Facharztweiterbildung wie eine Assistenzärztin tätig. Hierzu erhielt sie die befristete Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 BÄO. Sie wurde nicht von A vergütet, sondern erhielt von der Libyschen Botschaft ein Stipendium zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten.

Das FA sah die Leistungen als sonstige Einkünfte i.S.v. § 22 Nr. 1 sowie Nr. 3 EStG an. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 11 oder Nr. 44 EStG komme nicht in Betracht. Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 14.2.2019, 10 K 247/17, Haufe-Index 13003140, EFG 2019, 706).

 

Entscheidung

Die Revision des FA war begründet und führte zur Aufhebung des Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der BFH konnte auf Grundlage der bisherigen finanzgerichtlichen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob es sich bei den Zuflüssen um steuerbare Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen handelte.

 

Hinweis

Sind die Leistungen aus einem Stipendium steuerpflichtige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1 EStG?

1. Der X. Senat schließt bei Stipendien oder Studienbeihilfen, die keiner § 22 Nr. 1 EStG vorrangigen Einkunftsart zugeordnet werden können, nicht bereits aus teleologischen Erwägungen aus, dass es sich um steuerbare Bezüge gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG handeln könnte. Er begründet dies insbesondere mit den differenzierenden Regelungen in § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG.

2. Demzufolge sind Stipendien nur dann nicht steuerbar, wenn einerseits die Voraussetzungen des § 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG vorliegen und andererseits keine Rückausnahme nach Halbsatz 2 der Vorschrift eingreift.

3. Zur Auslegung dieser Vorschrift muss berücksichtigt werden, dass sie mit § 12 Nr. 2 EStG korreliert, wonach der Leistende u.a. freiwillige Zuwendungen sowie Zuwendungen aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht nicht abziehen darf. Die Wechselwirkung zwischen den beiden Vorschriften bezweckt, dass der Leistungsempfänger grundsätzlich nichts zu versteuern hat, was der Geber nicht steuerlich abziehen kann. Andernfalls käme es zu einer doppelten steuerlichen Belastung.

4. Bei freiwilligen oder auf einer freiwillig begründeten Rechtspflicht beruhenden Zuwendungen i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG wird ein unentgeltlicher Transfer vorausgesetzt, d.h. ihm darf keine wie auch immer geartete wirtschaftliche Gegenleistung gegenüberstehen. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen § 12 Nr. 2 EStG und § 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG ist es damit auch für die fehlende Steuerbarkeit von wiederkehrenden Bezügen gemäß § 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG notwendig, dass der Empfänger für die ihm gewährten Leistungen keine Gegenleistung erbringen muss.

5. Nichts anderes ergibt sich, wenn die Stipendien als Zuschüsse oder sonstige Vorteile i.S.v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. b EStG gewährt werden. Diese der aktuellen Fassung des § 22 Nr. 1 EStG nicht ohne Weiteres zu entnehmende Wertung ergibt sich zweifelsfrei aus der Gesetzgebungshistorie.

6. Was bedeutet diese Auslegung des § 22 Nr. 1 EStG für die steuerliche Behandlung eines Stipendiums? Eine durch ein Stipendium geförderte Ausbildungsleistung ist im Grundsatz nicht als Gegenleistung des Stipendiaten für die ihm gewährten wiederkehrenden Bezüge oder Zuschüsse anzusehen; denn die Ausbildung erfolgt nicht, um Einnahmen in Form von Stipendienleistungen zu erzielen.

7. Dies kann allerdings nicht gelten, wenn die Aus- bzw. Fortbildung

  • im Rahmen eines Dienst- oder diesem vergleichbaren Rechtsverhältnisses erfolgt,
  • die Leistungen aus dem Stipendium an die Erfüllung der sich aus einem solchen Rechtsverhältn...

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