Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die sog. Mindestbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n.F. verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhält, wenn eine Verlustverrechnung in späteren VZ aus rechtlichen Gründen (hier: nach § 8c KStG 2002 n.F.) endgültig ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

§ 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n.F; § 8c KStG 2002 n.F.

 

Sachverhalt

Antragstellerin war eine GmbH I als die Gesamtrechtsnachfolgerin der GmbH II, für die zum 31.12.2006 ein Verlustvortrag von rd. 35 Mio. EUR festgestellt worden war. Der Gesamtbetrag der Einkünfte der GmbH II für das Streitjahr 2007 betrug rd. 4 Mio. EUR. Das FA setzte insoweit die KSt nach Maßgabe des § 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n.F. fest.

In 2008 kam es zu einem Gesellschafterwechsel bei der GmbH II und einer Verschmelzung; in der Folge entfiel gem. § 8c KStG 2002 n.F. bzw. gem. § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG 2006 der verbleibende Verlustabzug zum 31.12.2008 vollständig.

Das FG hat die Vollziehung des Steuerbescheids des Streitjahrs wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung ausgesetzt (FG Nürnberg, Beschluss vom 17.03.2010, 1 V 1379/2009, Haufe-Index 2327498).

 

Entscheidung

Die dagegen gerichtete Beschwerde des FA blieb erfolglos. Der BFH teilte die ernstlichen Zweifel des FG an der Rechtmäßigkeit des KSt-Bescheids für 2007.

 

Hinweis

Es handelt sich um einen aus Sicht des Steuerpflichtigen erfolgreichen AdV-Beschluss, der – das sei klar angemerkt – nur Ausdruck einer vorläufigen ("summarischen") Prüfung der Rechtslage zur sog. Mindestbesteuerung durch den BFH ist und der keine abschließende Rechtsgewissheit und Rechtssicherheit bringt:

1. Seit 2004 dürfen nach § 10d Abs. 2 EStG in den Vorjahren nicht ausgeglichene negative Einkünfte in den folgenden VZ zwar bis zur Höhe von 1 Mio. EUR unbeschränkt von einem entsprechend hohen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, ein übersteigender Verlustbetrag aber nur bis zu 60 % des 1 Mio. EUR übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte. Bei einem bestehenden Verlustvortrag i.H.v. z.B. 3 Mio. EUR und einem zu versteuernden Einkommen vor Verlustausgleich im aktuellen Jahr i.H.v. z.B. 2 Mio. EUR bedeutet das: Es können lediglich 1,6 Mio. EUR der Verluste ausgeglichen werden, während für 400 000 EUR Steuern anfallen. Die verbleibenden Verluste können erst in den Folgejahren abgezogen werden.

2. Allgemein wird in dieser liquiditätsbelastenden zeitlichen "Streckung" des Verlustabzugs jedoch kein Verfassungsverstoß gesehen. Der Gesetzgeber sei darin frei, eine solche Streckung vorzusehen. Das gilt aber nur solange, wie ein Abzug der verbleibenden Verluste in den Folgejahren prinzipiell möglich ist. Bedenken bestehen deshalb, wenn es zu einem endgültigen Fortfall der Verlustnutzungsmöglichkeit kommt. Diesen Bedenken hat sich der BFH nun angeschlossen.

3. Das konkrete Verfahren betraf eine GmbH, die hohe Verluste erwirtschaftet und diese wegen der Mindestbesteuerung nur teilweise abziehen konnte. In der Folgezeit kam es zu einer Umstrukturierung und einem Gesellschafterwechsel, der dazu führte, dass der wegen der Mindestbesteuerung nicht ausgenutzte Verlustvortrag nach § 8c KStG in Gänze verloren ging.

Der BFH hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung, soweit sie für einen derartigen endgültigen Ausfall des Verlustabzugs keine gesetzliche Vorsorge trifft. Er erwägt deswegen eine verfassungskonforme Normauslegung von § 10d Abs. 2 EStG.Offen bleibt, ob § 8c KStG insofern nicht seinerseits Verfassungsbedenken aufwirft.

4. Vor allem Letzteres liegt alles andere als fern:

Erwägt man nämlich – mit dem BFH – die verfassungskonforme Reduktion von § 10d Abs. 2 EStG für jenen Fall, dass der "gestreckte" Verlustabzug in den Folgejahren infolge des Verlustabzugssausschlusses des § 8c KStG endgültig ausgeschlossen ist, dann liegt in jener Endgültigkeit ein rückwirkendes Ereignis (vgl. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO), das auf den VZ zurückwirkt, in dem die Abzugsbeschränkung des § 10d Abs. 2 EStG greift. Ebenso gut ließe sich argumentieren, § 8c KStG sei verfassungswidrig, weil er auch für den Fall absolut wirkt, in dem in dem "abzugsgesperrten" Verlust ein solcher enthalten ist, der aus der Abzugsstreckung des § 10d Abs. 2 EStG resultiert. Dann wäre es Sache des § 8c KStG für das "Finalitätsjahr" eine entsprechende Klausel zur Verlustnutzung vorzuhalten.

Beide Wege sind regelungstechnisch möglich. Ob der eine oder der andere Weg auch tatsächlich geboten ist wird erst das Hauptverfahren zeigen. Dabei wird sich dann auch herausstellen, ob sich das Ganze ggf. tatsächlich durch verfassungskonforme Gesetzesauslegung bewerkstelligen lässt oder ob es nicht doch einer zuvorigen Normenkontrolle durch das BVerfG und einer in diesem Zug vorzunehmenden Normverwerfung bedarf. Ebenso gut ließe sich das "Problem" u.U. mittels eines Billigkeitserweises aus der Welt räumen; auch das bleibt zu erwägen.

5. Zu beachten bleibt schließlich, dass der AdV-Beschluss sich allein auf einen –...

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