Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Kindergeld bei Bezug von Familienleistungen im Ausland durch den anderen Elternteil

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird für Sachverhalte zwischen EU-Staaten verdrängt, soweit der Anwendungsbereich von unmittelbar geltendem Europarecht eröffnet ist.

2. Für die Anspruchsberechtigung ist das nationale Recht maßgeblich, sodass Familienleistungen nur dann als nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet gelten können, wenn das Recht dieses Staates dem Familienangehörigen, der dort arbeitet, einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen verleiht.

3. Der Kindergeldanspruch der mit dem Kind im Inland lebenden Mutter schließt einen Anspruch des in Frankreich lebenden Vaters unabhängig davon aus, ob dem Vater ein Anspruch auf vergleichbare Familienleistungen in Frankreich zusteht und er diese Leistungen beantragt hat.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.07.2017; Aktenzeichen III R 18/16)

 

Tenor

1. Der Bescheid vom … sowie die Einspruchsentscheidung vom … werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Kindergeld von August 2013 bis Januar 2014 in gesetzlicher Höhe für das Kind … zu bewilligen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des im Kostenfestsetzungsbeschluss benannten Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn der andere Elternteil im Ausland Familienleistungen erhalten hat.

Die Klägerin ist die Mutter der am …2011 geborenen Tochter …. Die Klägerin wohnte zunächst gemeinsam mit dem Kindesvater in Frankreich, seit Juli 2013 hat sie ihren Wohnsitz mit der Tochter in ….

Die Familienkasse X setzte am …2012 Kindergeld für die Tochter ab November 2011 in Höhe von EUR 184 fest. Der Kindesvater erhielt in Frankreich für die Tochter von Januar 2012 bis März 2012 EUR 181,52, ab April 2012 EUR 183,34 und ab August EUR 185,54 bis einschließlich Januar 2014 Leistungen der Caisse d'allocations familiales (CAF) als allocation de base. Der Kindesvater geht in Frankreich einer Erwerbstätigkeit nach. Seit Juli 2013 bezieht die Klägerin Arbeitslosengeld II in Deutschland.

Mit Bescheid vom … hob die Familienkasse X die Bewilligung von Kindergeld in Höhe von EUR 183,34 auf, da dem Kindsvater in Frankreich Familienleistungen in dieser Höhe zustünden. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Bescheid vom … hob die Familienkasse X die Bewilligung des Kindergeldes von Januar 2012 bis März 2012 in Höhe von EUR 544,56 und von April 2012 bis Juli 2013 in Höhe von EUR 2.933,44 auf und forderte den Betrag von EUR 3.478 von der Klägerin zurück. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom … wies die Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Seit Februar 2014 erhält die Klägerin Kindergeld in Höhe von EUR 184 aufgrund des Bescheides der Beklagten vom ….

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie Anspruch auf Kindergeld ab August 2013 habe. Es gebe nicht mehrere Kindergeldberechtigte, sodass das Europarecht nicht eingreife. Der Kindesvater habe die allocation de base ab August 2013 zu Unrecht erhalten. Eine Weiterleitung sei auch nicht erfolgt. Dies dürfe nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Der Bezug der Leistungen nach dem SGB II stelle einen gleichgestellten Erwerbstatbestand im Sinne von Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 dar, da dieser Bezug nicht auf dem Wohnsitz, sondern auf der Beschäftigung der Klägerin beruhe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom … sowie die Einspruchsentscheidung vom … aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld von August 2013 bis Januar 2014 in gesetzlicher Höhe für das Kind … zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Anspruch in Frankreich dem deutschen Kindergeld vorgehe. Es sei zwar unklar, warum der Kindsvater die Leistung erhalten habe, obwohl die Tochter in Deutschland lebte. Die Klägerin hätte diese Leistung in Frankreich ebenfalls erhalten können, auch wenn sie ihren Wohnsitz verlagert habe. Die allocation de base sei mit dem deutschen Kindergeld vergleichbar. Die Konkurrenzsituation ergebe sich aus dem grenzüberschreitenden Sachverhalt, da der Kindsvater in Frankreich lebe. Es sei daher die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Wohnsitzfiktion anwendbar.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der dem Gericht übersandten Verwaltungsakten sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. April 2016 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG Anspruchsberechtigte für das Kindergeld für ihre Tochter ab August 2013...

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