Leitsatz

Die Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch § 17 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 S. 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 war mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen.

 

Normenkette

§ 2, § 17, § 52 Abs. 1 EStG 1999

 

Sachverhalt

Das BVerfG hatte in diesem Verfahren drei Verfassungsbeschwerden gegen drei Urteile des VIII. Senats des BFH verfahrensrechtlich verbunden und einheitlich entschieden. Folglich sind drei Sachverhalte darzustellen.

1. Im Verfahren 2 BvR 748/05 hielten die Ehegatten K Beteiligungen an einer GmbH von insgesamt 70 %, wobei auf Herrn K 60 % und auf Frau K 10 % entfielen. Am 29.12.1998 übertrug Frau K mit sofortiger Wirkung einen Teil ihrer Beteiligung für 600 DM an Herrn K, wodurch sich ihre Beteiligung auf 9,92 % verringerte, die sie am 28.06.1999 zu einem Preis von 992 000 DM an einen Dritten verkaufte. Das FA unterwarf einen Gewinn von 916 356 DM der Besteuerung. Klage und Revision hatten keinen Erfolg (BFH, Urteil vom 01.03.2005, VIII R 25/02, BFH/NV 2005, 960, BFH/PR 2005, 255).

2. Im Verfahren 2 BvR 753/05 war K mit Anteilen zu 20 000 DM an einer GmbH beteiligt, deren Stammkapital sich auf 150 000 DM belief. Am 11.03.1999 veräußerte er einen Teil seiner Beteiligung für 1 510 000 DM. Den Gewinn unterwarf das FA der Besteuerung. Klage und Revision waren erfolglos (BFH, Urteil vom 01.03.2005, VIII R 92/03, BFH/NV 2005, 964, BFH/PR 2005, 256).

3. Im Verfahren 2 BvR 1738/06 hielt K seit dem Jahr 1993 einen GmbH-Anteil von 24,02 % und veräußerte diese Beteiligung mit Vertrag vom 23.07.2001 für 100 000 DM. Den Gewinn unterwarf das FA der Besteuerung. Klage und Revision waren erfolglos (BFH, Urteil vom 10.08.2005, VIII R 22/05, BFH/NV 2005, 2188).

 

Entscheidung

Das BVerfG beschloss auf die Verfassungsbeschwerden: § 17 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 52 Abs. 1 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.

Ferner hob das BVerfG die (oben zitierten) Urteile des BFH auf und verwies die Verfahren an den BFH zurück.

 

Hinweis

1. Zunächst unterscheidet das BVerfG zwischen echter und unechter Rückwirkung. Mit seinen allgemeinen Ausführungen entspricht dieser Beschluss der Leitentscheidung 2 BvL 14/02 u.a. Auf die Besprechung in den dortigen Praxis-Hinweisen (Nrn. 1 bis 7, BFH/PR 2010, 409) wird verwiesen.

Worum geht es? Bis Ende 1998 wurden Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb besteuert, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten 5 Jahre vor der Veräußerung – und das bedeutet: zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraums – zu mehr als 25 % beteiligt war. Die Beteiligungsgrenze wurde durch das StEntlG 1999/2000/2002 auf 10 % gesenkt. Nach § 52 Abs. 1 S. 1 EStG galt die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber – rückwirkend – auch Beteiligungsverhältnisse ein, die bereits vor ihrer Verkündung begründet waren.

Machen wir uns diese gesetzgeberische Intention an einem Beispiel klar: K ist seit dem 01.01.1997 an der GmbH zu 15 % beteiligt (Kapitalanteil 15 000 DM). Er veräußert seine Beteiligung im Mai 1999 für 1 Mio. DM (Gewinn 1 Mio. ./. Kapitalanteil als Anschaffungskosten: 985 000 DM). Er müsste den Gewinn versteuern, denn er ist ab dem 01.01.1999 und damit innerhalb der letzten 5 Jahre vor der Veräußerung i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG qualifiziert (nämlich mit 15 % und damit mit mindestens 10 %) beteiligt. Ist das verfassungsgemäß? Nein, so die folgerichtige Antwort unseres höchsten Gerichts!

2. Die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % durch § 17 Abs. 1 S. 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 bewirkt nach diesen Grundsätzen keine echte Rückwirkung, weil die Neuregelung nach der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 1 S. 1 EStG im Hinblick auf das Entstehen der Steuerschuld erstmalig für den bei der Verkündung noch laufenden Veranlagungszeitraum mit dessen Ablauf Wirkung entfaltet. Sie geht aber mit einer unechten Rückwirkung einher, soweit sie sich tatbestandlich auf Beteiligungseinkünfte bezieht, die bereits vor Verkündung am 31.03.1999 bestanden haben. Das ist verfassungsrechtlich nur teilweise gerechtfertigt.

3. Zunächst aber gilt: Soweit aufgrund der geänderten Beteiligungsgrenze ...

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