Rz. 47

Die Rückstellungsbildung (§ 249 Abs. 1 Nr. 1 HGB = Passivierungspflicht) ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:

  • Ein unterlassener Aufwand muss vorliegen, d. h. die Verursachung einer später nach weiterem Gebrauch notwendig werdenden Reparatur genügt nicht.
  • Der Aufwand muss im letzten Geschäftsjahr unterlassen worden sein. Hätte die Inanspruchnahme oder Abraumbeseitigung bereits in einem früheren Geschäftsjahr vorgenommen werden müssen, so ist hierfür keine Rückstellungsbildung mehr möglich (Nachholungsverbot).
  • Die Instandhaltungsarbeiten müssen innerhalb der ersten 3 Monate im folgenden Geschäftsjahr, die Aufwendungen für Abraumbeseitigung innerhalb des folgenden Geschäftsjahres nachgeholt werden.

Für Instandhaltungsarbeiten, die innerhalb des 4. bis 12. Monats des folgenden Geschäftsjahres nachgeholt werden, besteht ab Geschäftsjahr 2010 ein Passivierungsverbot.

 

Rz. 48

Erscheint die Nachholung dieser Instandhaltungsarbeiten sowie die Abraumbeseitigung innerhalb des folgenden Geschäftsjahres bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung ausgeschlossen, so kommt insoweit eine Rückstellungsbildung i. S. v. § 249 Abs. 1 HGB nicht in Betracht. Andererseits sind im Vorjahr zulässigerweise gebildete Rückstellungen, die im folgenden Geschäftsjahr nicht in Anspruch genommen wurden, aufzulösen (Fortführungsverbot).

"Unterlassene Instandhaltung" bedeutet, dass es sich um Erhaltungsarbeiten handelt, die bis zum Bilanzstichtag bereits erforderlich gewesen wären, aber erst nach dem Bilanzstichtag durchgeführt werden. Bei Erhaltungsarbeiten, die erfahrungsgemäß in ungefähr gleichem Umfang und in gleichen Zeitabständen anfallen und turnusmäßig durchgeführt werden, liegt in der Regel keine unterlassene Instandhaltung vor.

 

Rz. 48a

"Unter Berücksichtigung des Verbots sog. Aufwandsrückstellungen (§ 249 Abs. 2 S. 1 HGB) setzt der Ansatz einer Rückstellung als Verbindlichkeitsrückstellung eine Verpflichtung voraus, die gegenüber einer dritten Person besteht (sog. Außenverpflichtung) und als erzwingbarer Anspruch eine wirtschaftliche Belastung darstellt.[1] Nach Maßgabe ständiger Rechtsprechung des BFH kann es ungeachtet einer ausreichend bestimmten Außenverpflichtung aber – dabei unabhängig von der Rechtsnatur als privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Verpflichtung – in Betracht kommen, die wirtschaftlichen Interessen des Leistungsverpflichtenden und des Anspruchsberechtigten zu gewichten und im Einzelfall ein sog. eigenbetriebliches Interesse als wirtschaftlich auslösendes Moment der Belastung zu werten. An dieser Rechtsprechung ist – insbesondere in den Fällen festzuhalten, in denen eine bestehende Außenverpflichtung durch ein eigenbetriebliches Interesse bei wirtschaftlicher Betrachtung vollständig überlagert wird und damit der Sache nach eine sog. Aufwandsrückstellung vorliegt." – so der BFH im Urteil v. 22.1.2020.[2]

Der BFH hat entschieden, dass ungeachtet einer bestehenden Außenverpflichtung (hier: Räumung eines Baustellenlagers bei Vertragsende) der Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung dann ausgeschlossen ist, wenn die Verpflichtung in ihrer wirtschaftlichen Belastungswirkung von einem eigenbetrieblichen Interesse vollständig "überlagert" wird. Im Urteilsfall hatte die Klägerin, eine im Spezialgerüstbau tätige GmbH, Rückstellungen für den Aufwand der Demontage des auf der jeweiligen Baustelle befindlichen Materials und der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gebildet. Aus dem erheblichen und Umfang und Wert des auf den Baustellen befindlichen Materials folgte, dass die geordnete Räumung des Grundstücks und der Rücktransport des Materials eher im Interesse der Klägerin liege, da ein Verlassen der Baustellen unter Zurücklassen des Materials die Klägerin wesentlich härter treffen würde als ihre Auftraggeber, die das zurückgelassene Material gewinnbringend verwerten, dem nächsten Auftragnehmer zur Verfügung stellen oder auf Kosten der Klägerin entsorgen könnten. Überdies sei die Auflösung des Materiallagers und der Rücktransport in das Zentrallager mit der in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung zur Betriebs- oder Geschäftsverlegung vergleichbar, bei der die Räumungs- und Umzugskosten dem überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Unternehmens zuzuordnen sei.

Anmerkung von RA Prof. Dr. Hans-Joachim Kanzler:[3]"Der XI. Senat des BFH lehnte den Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) ab, weil die Verpflichtung in ihrer wirtschaftlichen Belastungswirkung im Streitfall von einem eigenbetrieblichen Interesse vollständig "überlagert" wurde. Er folgte damit der bisherigen Rechtsprechung der anderen Ertragsteuer-Senate des BFH, ohne sich wirklich mit den Argumenten der Auffassung im Schrifttum auseinanderzusetzen, das diese "Überlagerungsthese" ganz überwiegend ablehnt. Tatsächlich zieht sich der BFH im Streitfall auf die ihn bindende einzelfallbezogene Würdigung des Finanzgerichts zurück und übernimmt dessen Sicht, nach der die wegzuräumenden Materialien ...

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