Leitsatz

Ungeachtet einer bestehenden Außenverpflichtung (hier: Räumung eines Baustellenlagers bei Vertragsende) ist ein Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) dann ausgeschlossen, wenn die Verpflichtung in ihrer wirtschaftlichen Belastungswirkung von einem eigenbetrieblichen Interesse vollständig "überlagert" wird.

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 7 Satz 1 GewStG, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Gerüstbauunternehmen, unterhält in Y ein Zentrallager für Gerüstmaterial. Sie erbrachte aufgrund von dreijährigen Rahmenverträgen und Einzelverträgen ("Abrufen") Gerüstbauarbeiten. Mit den Entgelten waren auch der An- und Abtransport des Gerüstmaterials, dessen Vorhaltung, die Baustelleneinrichtung sowie die Montage und die Demontage der Gerüste abgegolten.

Um der Vorhalteverpflichtung nachzukommen und die geschuldeten Arbeiten zeitnah ausführen zu können, errichtete die Klägerin in zahlreichen Fällen mit Zustimmung des jeweiligen Auftraggebers auf dessen Gelände Materiallager, in denen sich das für die Abwicklung der "Abrufe" voraussichtlich benötigte Material befand. In den Rahmenverträgen verpflichtete sich die Klägerin gegenüber ihren Auftraggebern u.a., von diesen zur Verfügung gestellte Lagerplätze wieder in den Zustand zu versetzen, in dem sie der Klägerin zu Beginn des Vertrags zur Verfügung gestellt worden waren.

Für die zukünftig anfallenden Kosten des bei Vertragsende erforderlichen Abtransports des Materials (Personalkosten im Zusammenhang mit der Rückführung ins Zentrallager nach Y sowie Transportkosten) bildete die Klägerin Rückstellungen.

Das FA sah nach Durchführung von zwei Außenprüfungen in den Änderungsbescheiden wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Messbetrag für 2007, 2009, 2010 und 2012 die Rückstellungen als unzulässig an. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg (FG Münster, Urteil vom 5.12.2018, 13 K 2688/15 K, Haufe-Index 13012000). Das FG nahm an, die Rückstellungen seien steuerrechtlich nicht anzuerkennen, da die Leistungspflicht der Klägerin gegenüber Dritten von eigenbetrieblichen Erfordernissen gleichgerichtet und kongruent überlagert werde.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Die Bildung einer Rückstellung für eine (dem Grunde oder der Höhe nach) ungewisse Verbindlichkeit setzt nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. BFH, Urteil vom 19.10.2005, XI R 64/04, BFH/NV 2006, 856, BStBl II 2006, 371; BFH, Urteil vom 29.11.2007, IV R 62/05, BFH/NV 2008, 644, BStBl II 2008, 557; BFH, Urteil vom 5.11.2014, VIII R 13/12, BFH/NV 2015, 882, BStBl II 2015, 523) u.a. eine erzwingbare Außenverpflichtung voraus, die für den Unternehmer eine wirtschaftliche Belastung darstellt.

2. Anders ist es aber, wenn die bestehende Außenverpflichtung durch ein eigenbetriebliches Interesse bei wirtschaftlicher Betrachtung vollständig überlagert wird (vgl. BFH, Urteil vom 8.11.2000, I R 6/96, BFH/NV 2001, 519, BStBl II 2001, 570; BFH, Urteil vom 13.2.2019, XI R 42/17, BFH/NV 2019, 1197). Dann liegt wirtschaftlich gesehen quasi eine sog. Aufwandsrückstellung vor, die unzulässig ist (siehe § 249 Abs. 2 HGB und BFH, Urteil vom 5.6.2014, IV R 26/11, BFH/NV 2014, 1644, BStBl II 2014, 886).

3. Die Prüfung, ob im Einzelfall ein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse vorliegt, obliegt dem FG (tatsächliche Würdigung). Bejaht oder verneint ein FG, dass ein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse vorliegt, ist der BFH hieran in den Grenzen des § 118 Abs. 2 FGOgebunden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.1.2020 – XI R 2/19

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