Leitsatz

Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die Einführung und Beibehaltung der Vorschriften zur ergänzenden Altersvorsorge in den §§ 79 bis 99 EStG gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rats vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sowie aus Art. 18 EG verstoßen, soweit diese Vorschriften

  • Grenzarbeitnehmern und deren Ehegatten die Altersvorsorgezulage verweigern, falls sie in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind,
  • Grenzarbeitnehmern nicht gestatten, das geförderte Kapital für die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung zu verwenden, falls diese nicht in Deutschland belegen ist, und
  • vorsehen, dass die Zulage bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland zurückzuzahlen ist.
 

Normenkette

§ 79 S. 2, § 92a Abs. 1, § 93, § 95 EStG, Art. 12, Art. 18, Art. 39 EGV, Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68

 

Sachverhalt

Die EU-Kommission war der Auffassung, die deutschen Vorschriften zur sog. Riesterrente (§§ 79 bis 99 EStG) stünden nicht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang. Da die Antworten der deutschen Behörden im Vorverfahren sie nicht zufrieden gestellt hatte, erhob die Kommission Klage, die sie auf die drei oben dargestellten Rügen stützte.

 

Entscheidung

Der EuGH teilte die Auffassung der Kommission in allen Punkten.

 

Hinweis

Das Urteil des EuGH kann nicht überraschen: Es liegt voll auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung, in der die Beachtung der Grundfreiheiten konsequent eingefordert wird.

Der EuGH sieht bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Riesterrente in dreierlei Hinsicht einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht:

1. Zulageberechtigt sind nach § 79 EStG nur unbeschränkt Steuerpflichtige. Dies gilt auch für einen nur mittelbar berechtigten Ehegatten. Hierdurch werden vor allem Grenzgänger mit Wohnsitz in ihrem Heimatland benachteiligt.

Nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen Vergünstigungen wie ein inländischen Arbeitnehmer. Das gilt auch für Grenzgänger, die damit nicht nur vor offensichtlichen Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch vor allen verschleierten Formen der Diskriminierung geschützt sind.

Eine Vorschrift diskriminiert die Grenzgänger mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Grenzgänger als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie diese besonders benachteiligt. Das ist hier der Fall, da die Grenzgänger aufgrund des mit ihrem Heimatstaat abgeschlossenen DBA nicht die Möglichkeit haben, nach § 1 Abs. 3 EStG den unbeschränkt Steuerpflichtigen gleichgestellt zu werden.

Dass die Gewährung der Altersvorsorgezulage von einer Voraussetzung abhängig gemacht wird, die einem Wohnsitzerfordernis gleichkommt, verstößt somit sowohl gegen Art. 39 EGV als auch gegen Art. 7 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1612/68.

Die Ungleichbehandlung in Bezug auf die Gewährung der Altersvorsorgezulage wird nicht dadurch beseitigt, dass die Grenzgänger möglicherweise in den Genuss von Steuererleichterungen in ihrem Wohnsitzstaat kommen. Der Gesichtspunkt der Kohärenz kann nach Auffassung des EuGH die Zulage für unbeschränkt Steuerpflichtige ebenfalls nicht rechtfertigen, da die steuerliche Kohärenz auf der Grundlage bilateraler DBA gewahrt wird.

Die festgestellte Diskriminierung bezieht sich nicht nur auf die fehlende Gewährung der Altersvorsorgezulage für Arbeitnehmer, sondern auch auf die Kinderzulage und die abgeleitete Zulage für den Ehegatten des Begünstigten.

2. Die Regelung des § 92a EStG, wonach der Zulageberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und geförderte Kapital i.H.v. bis zu 50 000 EUR für die Anschaffung oder Herstellung einer im Inland belegenen, eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung einsetzen darf, verstößt ebenfalls Art. 39 EGV und Art. 7 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1612/68.

Obwohl das Erfordernis des inländischen Wohneigentums für deutsche Arbeitnehmer und für Grenzgänger gleichermaßen gilt und § 92a EStG nicht unmittelbar auf Gebietsfremde Bezug nimmt, sind doch diese häufiger als Gebietsansässige am Erwerb einer außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets liegenden Wohnung interessiert. Folglich werden Grenzgänger durch § 92a EStG ungünstiger behandelt als Arbeitnehmer, die in Deutschland wohnen. Die Vorschrift stellt somit eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, die weder durch das Ziel der Sicherung eines hinreichenden Wohnungsangebots noch der Erhaltung des nationalen Sozialversicherungssystems gerechtfertigt werden kann.

3. Nach den §§ 93 bis 95 EStG muss der Zulageberechtigte, dessen unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, die erhaltenen Altersvorsorgezulagen und gegebenenfalls die nach § 10a EStG als Sonderausgabe...

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