Leitsatz

Die Art. 12 Abs. 1 EG und 18 Abs. 1 EG sind dahin auszulegen, dass es ihnen nicht zuwiderläuft, dass ein in Deutschland wohnender Steuerpflichtiger nach einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren einschlägigen von seinen steuerpflichtigen Einkünften in diesem Mitgliedstaat nicht Unterhaltsleistungen an seine in einem anderen Mitgliedstaat, in dem diese Unterhaltsleistungen steuerfrei sind, wohnende frühere Ehefrau abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie in Deutschland ansässig wäre.

 

Normenkette

Art. 12 EG , Art. 18 Abs. 1 EG , § 1a Abs. 1 EStG , § 10 Abs. 1 EStG

 

Sachverhalt

Herr Schempp, ein deutscher Staatsbürger, der in Deutschland auch wohnt, zahlte an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau Unterhalt. Er wollte die Zahlungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr.1 EStG als Sonderausgaben abziehen. Das versagte das FA, da eine Besteuerung der Zahlungen bei der Ehefrau in Österreich nicht, wie nach § 1a Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG erforderlich, durch eine Bescheinigung der österreichischen Steuerbehörden nachgewiesen sei. Diese Bescheinigung konnte Herr Schempp nicht vorlegen, weil die Unterhaltsleistungen in Österreich – anders als in Deutschland – steuerfrei waren.

Nachdem die dagegen gerichtete Klage erfolglos blieb, hatte sich der BFH veranlasst gesehen, den EuGH anzurufen (Beschluss vom 22.7.2003, XI R 5/02, BFH-PR 2003, 470).

 

Entscheidung

Der EuGH erkannte, wie aus dem Leitsatz und den Praxis-Hinweisen ersichtlich, keine EG-Rechtsverletzung.

 

Hinweis

1. Es ging in dem dem EuGH vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen des BFH (Beschluss vom 22.7.2003, XI R 5/02, BFH-PR 2003, 470 mit Anm. Hutter) um die Frage, ob sich ein in Deutschland wohnender deutscher Staatsangehöriger auf die Art. 12 EG und 18 Abs. 1 EG berufen kann, um bei seiner ESt-Erklärung die an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau geleisteten Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben abziehen zu können.

2. Das steht bei beiderseits Gebietsansässigen außer Frage und ist als begrenztes Realsplitting geläufig: § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ermöglicht den Abzug innerhalb bestimmter Höchstgrenzen, wenn Geber und Zuwendungsempfänger sich insoweit einig sind und der Empfänger seine Zustimmung erteilt hat. Umgekehrt muss letztere die erhaltenen Unterhaltsbeiträge nach dem sog. Korrespondenzprinzip als steuerpflichtige Einkünfte erfassen, § 22 Nr. 1a EStG.

3. Das gilt nach § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG im Grundsatz auch für solche Ehegatten, welche im Ausland wohnen, mithin im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, dies allerdings nur unter zwei Einschränkungen:

  • Der Ehegatte muss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen EG- oder EWR-Staats haben und
  • die Besteuerung der Unterhaltszahlungen beim Empfänger muss durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen werden.

4. Der EuGH stellt klar, dass die unterschiedliche Behandlung zu Inländern aus EG-rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist.

Einerseits:

Der betroffene Steuerbürger kann sich als Unionsbürger (Art. 17 EG) auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG berufen. Indirekt ist auch das EG-rechtliche Freizügigkeitsgebot (Art. 18 EG) als besonderer Diskriminierungsschutz betroffen. Dieses Recht auf Freizügigkeit nimmt zwar der zuwendungsempfangende Ehegatte in Anspruch, der im EG-Ausland lebt; es wirkt sich indes mittelbar auf die Besteuerung des inländischen Ehegatten aus. Dessen Situation ist deswegen EG-rechts-relevant. Es handelt sich nicht um einen bloßen Inlandsfall, der dem EG-rechtlichen Schutz per se entzogen ist.

Andererseits:

(1) Derjenige, der an einen Gebietsansässigen Unterhaltszahlungen erbringt, ist nicht ohne weiteres mit demjenigen vergleichbar, der dies gegenüber einem Gebietsfremden tut. Denn der Unterhaltsberechtigte wird in jenem Mitgliedstaat, in dem er wohnt, genauso behandelt, wie andere Bürger dort auch, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Sind die Unterhaltsleistungen in diesem Staat steuerfrei, dann beruht dies auf Abweichungen der verschiedenen (Steuer-)Rechtsordnungen, für deren "Abwehr" Art. 12 EG nicht geschaffen und einschlägig ist. Das ist eine wichtige und bemerkenswerte Erkenntnis des EuGH: Das EG-Recht soll solche Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten also nicht neutralisieren!

(2) Aus letztlich gleichem Grund ist auch das Freizügigkeitsrecht des Art. 18 Abs. 1 EG nicht tangiert. Die Freizügigkeit des Gebietsansässigen wie die des wegziehenden Ehegatten wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Wegziehende sich durch den Wegzug der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats unterwirft. Die Besteuerung muss hier wie dort nicht identisch sein. Aufgrund der Unterschiede im Steuerrecht der Mitgliedstaaten kann eine Wohnsitzverlagerung je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile bei der (unmittelbaren oder mittelbaren) Besteuerung nach sich ziehen.

3. Konsequenz: Der EuGH verneint den denkbaren Gemeinschaftsrechtsverstoß ni...

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