Kommentar

Eigentlich verpflichtet § 325 HGB alle, auch kleine Kapitalgesellschaften, den Jahresabschluß durch Einreichen zum Handelsregister offenzulegen. Zwischen gesetzlichem Anspruch und Unternehmenspraxis klafft aber eine gewaltige Lücke: Nur 7 % der deutschen Kapitalgesellschaften legen Registergerichten Unterlagen vor. Da die Mittel der Gerichte, eine Offenlegung zu erzwingen, begrenzt sind, haben die Publizitätsverweigerer bislang leichtes Spiel. Daran könnte sich jedoch bald etwas ändern, denn ein EuGH-Urteil vom 4.12.1997 dürfte die Bundesregierung zum Überdenken der laxen Publizitätsvorschriften bewegen.

Reicht eine Kapitalgesellschaft ihren Jahresabschluß nicht zum Registergericht ein, so können nur wenige Personen bei Gericht die Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens gegen die publizitätsunwillige AG oder GmbH wegen Verletzung der Publizitätspflicht beantragen. Dieses Recht räumt § 335 HGB nämlich nur den Gesellschaftern, den Gläubigern und dem Betriebsrat des Unternehmens ein. Folgt das Gericht den Antragstellern, sind die Konsequenzen für das Unternehmen überschaubar : Es drohen ein Zwangsgeld bis maximal 10.000 DM und die Verfahrenskosten. Bei nachhaltiger Verweigerung der Offenlegung steht es im Ermessen des Registergerichts, die Zwangsgeldandrohung bis zum Veröffentlichen des Jahresabschlusses zu wiederholen.

Angesicht dieser Rechtslage hatte die deutsche Händlerorganisation eines ausländischen Automobilkonzerns vor deutschen Gerichten keinen Erfolg, dessen deutsche Vertriebs-GmbH zur Veröffentlichung der Bilanz zu zwingen, um Provisionsabrechnungen prüfen zu können. Während deutsche Gerichte die Antragsbefugnis der Händlerorganisation ablehnten, weil sie nicht zu den in § 335 HGB genannten Personen rechne, bestätigte der EuGH deren Informationsinteresse.

Der EuGH kommt nämlich zum Ergebnis, daß § 335 HGB nicht in Einklang mit der zugrunde liegenden EU-Richtlinie steht. Denn nach europäischem Recht wird die Offenlegung des Jahresabschlusses nicht allein zugunsten eines kleinen Personenkreises gefordert; vielmehr sollen die Informationen jeder interessierten Person zugänglich gemacht werden. Nach dieser Interpretation hätte also nicht nur die Händlerorganisation, sondern wohl auch jeder Mitarbeiter ein Recht darauf, den Jahresabschluß beim Registergericht einzusehen.

Das EuGH-Urteil bedeutet nun aber nicht, daß jeder Interessent die Offenlegung eines Jahresabschlusses beantragen kann. Dem steht weiterhin deutsches Recht entgegen. Eine nicht oder falsch umgesetzte EU-Richtlinie verleiht dem einzelnen Bürger keine Ansprüche gegen andere Privatpersonen, sondern unter weiteren Voraussetzungen nur gegen den Staat. Allerdings können der Bundesrepublik nun – worauf der EuGH ausdrücklich hinweist – Schadensersatzforderungen der Händlerorganisation drohen. Insoweit besteht eine Situation, die der Nichtumsetzung der EU-Richtlinie zum Verbraucherschutz bei Pauschalreisen vergleichbar ist.

Derzeit ist noch ein anderes Verfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik wegen mangelhafter Umsetzung der Publizitätsvorschriften anhängig, dessen Ausgang wegen möglicher Formfehler der Kommission jedoch offen ist. Unabhängig vom Ergebnis dieses Verfahrens wächst jedoch der Druck der anderen europäischen Staaten auf die Bundesregierung, Publizitätsverstößen mit wirksameren Sanktionen zu begegnen. Dieser Druck könnte so groß werden, daß nicht nur die geltenden Vorschriften des HGB, sondern auch die Umsetzung der GmbH & Co. KG-Richtlinie wieder auf die Tagesordnung kommt.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 04.12.1997, C-97/96

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