Sachverhalt

Bei dem polnischen Verfahren ging es um den Begriff der festen Niederlassung in Zusammenhang mit der Ortsregel für Dienstleistungen im B2B-Bereich nach Art. 44 MwStSystRL (in der ab 1.1.2010 geltenden Fassung).

Die Parteien stritten über den Ort von Dienstleistungen, die aufgrund eines Kooperationsvertrages von der in Polen ansässigen Klägerin an eine in Zypern ansässige Limited-Gesellschaft (LG) erbracht wurden.

Im Rahmen des Kooperationsvertrages betrieb die LG in Polen unter einer bestimmten Internetdomäne eine elektronische Handelsplattform, welche von der Klägerin zum Verkauf ihrer Produkte verwendet wurde. Für die Bereitstellung der Plattform zahlte die Klägerin der LG eine Vergütung. Die LG unterhielt in Polen weder eigenes Personal noch eigene Geschäftsräume. Bei den streitgegenständlichen Dienstleistungen, die die Klägerin an die LG erbrachte, handelte es sich um Werbung, Service, Informationsbeschaffung und Datenverarbeitung. Die LG hielt im Streitjahr 2010 eine 100%ige Kapitalbeteiligung an der Klägerin.

Die Klägerin war der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Dienstleistungen der Mehrwertsteuerpflicht am Sitz der Leistungsempfängerin LG in Zypern und in Polen nicht der Besteuerung unterliegen.

Die polnischen Steuerbehörden und das vorinstanzliche Gericht vertraten dagegen die Auffassung, dass die LG in Polen eine feste Niederlassung habe und die von der Klägerin erbrachten Dienstleistungen demzufolge in Polen steuerbar seien. Es sei zu berücksichtigen, dass die LG in Polen (als Mitgliedstaat des Verbrauchs) Dienstleistungen an polnische Abnehmer erbringe und die von der Klägerin gestellte technische und personelle Ausstattung verwende [gemeint war hier anscheinend die im Rahmen der streitgegenständlichen Dienstleistungen bereitgestellte Ausstattung]. Die Tätigkeitsbereiche der beiden Gesellschaften stellten eine unauflösbare ökonomische Einheit dar. Die Bereithaltung einer personell-sachlichen Infrastruktur im klassischen Sinne sei daher für die Tätigkeit der LG nicht notwendig.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts war der spezifische Charakter der von der LG in Polen erbrachten Leistungen und die Zusammenarbeit aufgrund des Kooperationsvertrages zu berücksichtigen. Da sich die Tätigkeit der LG auf den Betrieb einer elektronischen Handelsplattform beschränkte, bedürfe es für das Vorliegen einer festen Niederlassung keiner festen personell-sachlichen Infrastruktur im herkömmlichen Sinne. Das Gericht hatte jedoch Zweifel und bat den EuGH um Klärung der Frage,

  • ob für die Besteuerung von Dienstleistungen, die durch eine Gesellschaft A mit Sitz in Polen an eine Gesellschaft B mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat erbracht werden, wenn B bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit die Infrastruktur von A nutzt, B am Sitz von A eine feste Niederlassung i.S.d. Art. 44 MwStSystRL hat.
 

Entscheidung

Der EuGH hat einleitend ausgeführt, dass entgegen der Auffassung einiger Verfahrensbeteiligter allein auf die von dem vorlegenden Gericht gestellte Frage zu antworten sei, die auf die Bestimmung des Ortes der Dienstleistungen abzielte, die von der Klägerin an LG erbracht worden sind. Es gehe um die Auslegung von Art. 44 MwStSystRL, wonach bei der Bestimmung des Ortes einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen nicht mehr auf den Dienstleistungserbringer, sondern auf den Empfänger der Dienstleistung abgestellt wird. Daher stelle sich die Frage, ob die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie angesichts der durch Art. 44 MwStSystRL eingeführten Änderungen auf diesem Gebiet weiterhin einschlägig sei.

Der EuGH stellt fest, dass der Wortlaut von Art. 44 MwStSystRL dem von Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie ähnlich ist. Zudem handele es sich sowohl bei Art. 44 MwStSystRL als auch bei Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie um Vorschriften, die den Ort der steuerlichen Anknüpfung bei Dienstleistungen bestimmen und dasselbe Ziel verfolgen, so dass die EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie mit den nötigen Abänderungen grundsätzlich auf die Auslegung von Art. 44 MwStSystRL übertragen werden könne.

Sodann wiederholt der EuGH seine ständige Rechtsprechung, die auch für Art. 44 MwStSystRL gelte, zum vorrangigen Anknüpfungspunkt für die Ortsbestimmung einer Dienstleistung. Für Zwecke des Art. 44 MwStSystRL ist dies nach dem Urteil der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Leistungsempfängers. Die feste Niederlassung als Anknüfungspunkt kann nur als Ausnahme von der allgemeinen Regelung, die auf den Sitzort abstellt, verstanden werden. Nach dem Urteil muss eine feste Niederlassung auch für Zwecke des Art. 44 MwStSystRL einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweisen, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. Somit muss die zyprische Gesellschaft LG in Polen zumindest eine S...

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