Leitsatz

Ob eine Straßenverbindung aufgrund einer zu erwartenden Zeitersparnis als "offensichtlich verkehrsgünstiger" anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Insbesondere ist nicht in jedem Fall eine Zeitersparnis von mindestens 20 Minuten erforderlich.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG

 

Sachverhalt

K setzte in seiner ESt-Erklärung bei seinen Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte eine Wegstrecke von 69 km an. Daneben begehrte er für den Besuch der Computermesse CeBIT den Werbungskostenabzug. Das FA berücksichtigte dagegen Fahrtkosten nur auf Grundlage von 55 km und ließ für den Messebesuch keine Werbungskosten zu. Die Klage dagegen blieb erfolglos (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.10.2010, 5 K 1482/08, Haufe-Index 2689927, EFG 2011, 1966).

 

Entscheidung

Der BFH hob aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Vorentscheidung auf. Das FG wird nun nach Maßgabe der vorgegebenen Rechtsgrundsätze zum einen zu prüfen haben, ob die von K befahrenen Straßenverbindungen "offensichtlich verkehrsgünstiger" waren, und zum andern erneut über die Aufwendungen für den Besuch der CeBIT befinden müssen.

 

Hinweis

Wie im vorstehend besprochenen Fall (BFH, Urteil vom 16.11.2011, VI R 46/10, BFH/NV 2012, 505, BFH/PR 2012, 109) geht es auch hier um die Voraussetzungen einer längeren, aber "offensichtlich verkehrsgünstigeren" Wegstrecke; daneben auch darum, ob der Besuch der Computermesse CeBIT zu Werbungskosten führen kann.

1. Die "offensichtlich verkehrsgünstigere" Wegstrecke des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG geht letztlich auf ein BFH-Urteil von 1975 zurück (BFH, Urteil vom 10.10.1975, VI R 33/74, BStBl II 1975, 852): längere, aber zeitlich günstigere Verkehrsverbindungen sind zu berücksichtigen, der BFH sprach damals von Schnell- oder Ringstraßen. Dies gilt, wie im Urteil ausführlich aus Entstehungsgeschichte und Normzweck entwickelt, auch noch für die gegenwärtig geltende Entfernungspauschale.

2. Der BFH widerspricht der Rechtsprechung einzelner FGe, wonach nur bei einer Zeitersparnis von mindestens 20 Minuten eine Strecke "offensichtlich verkehrsgünstiger" ist. Eine solche absolute Grenze ließe bei kürzeren Strecken keinen Raum mehr für "verkehrsgünstigere" Varianten. Entscheidend ist die relative Ersparnis, die aber bei unter 10 % geringfügig wird und den "verständigen Verkehrsteilnehmer" dann nicht veranlasst, von der kürzesten Strecke abzuweichen. Der BFH sieht weiter die Zeitersparnis ohnehin nicht als allein entscheidendes Merkmal. Das Merkmal verkehrsgünstig beinhalte auch andere Umstände als nur die Zeitersparnis (z.B. Streckenführung, Ampelschaltung, o.Ä.). Und der BFH schließt ausdrücklich eine "offensichtlich verkehrsgünstigere" Straßenverbindung auch dann nicht aus, wenn gar keine Zeitersparnis zu erwarten sei, sich die Strecke jedoch aufgrund anderer Umstände als verkehrsgünstiger erweise.

3. Der Ausschluss des Werbungskostenabzugs für einen CeBIT-Besuch kann angesichts des Großen Senats zum Aufteilungs- und Abzugsverbot (BFH, Beschluss vom 21.9.2009, GrS 1/06, BFH/NV 2010, 285, BFH/PR 2010, 85, BStBl II 2010, 672) nicht mehr allein auf die Begründung gestützt werden, die ausschließlich berufliche Veranlassung des Besuchs sei nicht belegt. Denn bekanntlich ist nun die Aufteilung zwischen dem beruflich und dem privat veranlassten Anteil der Reisekosten gestattet, notfalls durch Schätzung. Zunächst ist zu prüfen, ob und ggf. inwieweit die Aufwendungen beruflich veranlasst sind. Dabei kann insbesondere zu berücksichtigen sein, ob Kosten von Dritten (Arbeitgeber) übernommen wurden, da dies für eine berufliche Veranlassung spricht. Wenn dennoch die berufliche Veranlassung nicht überwiegen sollte, ist im nächsten Schritt über die Aufteilung nach privaten und beruflichen Veranlassungsbeiträgen zu entscheiden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.11.2011 – VI R 19/11

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