Leitsatz

Übersieht das Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung, dass der Steuerpflichtige in seiner vorgelegten Gewinnermittlung die bei der Umsatzsteuererklärung für denselben Veranlagungszeitraum erklärten und im Umsatzsteuerbescheid erklärungsgemäß berücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgabe erfasst hat, liegt insoweit eine von Amts wegen zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO vor (Anschluss an BFH, Urteil vom 14.6.2007, IX R 2/07, BFH/NV 2007, 2056).

 

Normenkette

§ 129 AO, § 4 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit als Ingenieur und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG. In den von ihm selbst erstellten Gewinnermittlungen setzte er jeweils auf der Einnahmenseite die vereinnahmten Bruttoeinnahmen, auf der Ausgabenseite die nach Kostenarten aufgeschlüsselten Ausgaben einschließlich der darin enthaltenen Vorsteuer an. In der Aufstellung waren die an das FA geleisteten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgaben enthalten.

Das FA veranlagte die Kläger für die Streitjahre auf der Grundlage der erklärten Einkünfte aus selbstständiger Arbeit zur Einkommensteuer, ohne den Fehler des Klägers hinsichtlich der geleisteten Umsatzsteuerzahlungen zu bemerken.

Nachdem die Einkommensteuerbescheide bestandskräftig geworden waren, beantragte der Kläger erfolglos ihre Änderung unter Hinweis auf die unberücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen.

Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wurde abgewiesen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8.9.2010, 14 K 14074/09, Haufe-Index 2721519).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Da das FA Umsatzsteuerzahlungen bei der Umsatzsteuerfestsetzung in allen Streitjahren berücksichtigt habe, erscheine es ausgeschlossen, dass die unterbliebene Übernahme der Umsatzsteuerzahlungen als Betriebsausgaben in den Einkommensteuerveranlagungen auf nicht hinreichender Sachaufklärung hätte beruhen können.

Vielmehr habe sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten ergeben, dass die – gesamten – umsatzsteuerlich berücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen nur aufgrund eines mechanischen Versehens vom Kläger nicht in seinen Einkommensteuererklärungen berücksichtigt worden waren.

Die Sache sei nicht spruchreif. Zwar seien die in den jeweiligen Streitjahren geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen als Betriebsausgaben abzuziehen. Deren Höhe könne der BFH aber wegen der zum Teil erst im jeweiligen Folgezeitraum geleisteten Abschlusszahlungen nicht abschließend beurteilen. Diese Prüfung müsse das FG nachholen.

 

Hinweis

1. Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden.

2. Nach der in der Rechtsprechung gängigen Definition ist eine Unrichtigkeit dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Da dieser Satz zweimal das Wort "offenbar" enthält, kommt er allerdings einem logischen Zirkel bedenklich nahe.

3. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus.

4.§ 129 AO ist schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder eines sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehlers oder einer mangelnder Sachverhaltsaufklärung besteht.

5. Rein hypothetische Annahmen können der Feststellung einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO jedoch nicht entgegengehalten werden.

6. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 27.8.2013 – VIII R 9/11

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