Rz. 20

Verkehrsfähigkeit als Hauptkriterium

Die Bilanzierungsfähigkeit von Nutzungen und Nutzungsrechten in der Handelsbilanz steht in direktem Zusammenhang mit der Frage nach dem Vorliegen eines Vermögensgegenstands.[1] Da eine Legaldefinition für den Begriff "Vermögensgegenstand"[2] fehlt und eine Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs daher auf der Grundlage der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bzw. Bilanzierung erfolgen muss, sind Spielräume für eine Umschreibung dieses Rechtsbegriffs gegeben. Einigkeit herrscht dabei darüber, dass die Bezeichnung "Gegenstand" nicht in bürgerlich-rechtlicher Weise aufzufassen ist,[3] sondern dass auch darüber hinaus die in § 266 Abs. 2 HGB in der Position "Immaterielle Vermögensgegenstände" explizit genannten ähnlichen Rechte und Werte erfasst werden. Nutzungen und Nutzungsrechte als solche wären, erkennt man deren Tauglichkeit als Vermögensgegenstand an, unter dieser Bilanzposition zu subsumieren.[4]

Maßgebendes Kriterium für die Qualifikation als Vermögensgegenstand ist die selbstständige Verkehrsfähigkeit.[5] Das Kriterium der selbstständigen Verkehrsfähigkeit lässt folgende Interpretationsmöglichkeiten zu:[6]

  1. Verkehrsfähigkeit als konkrete Einzelveräußerbarkeit (Verkehrsfähigkeit i. e. S.) und damit Eignung einer Übertragung auf der Grundlage eines selbstständigen Auftretens als Gegenstand des Handels- und Rechtsverkehrs.[7]
  2. Verkehrsfähigkeit als Oberbegriff nicht nur für die konkrete, sondern auch die abstrakte Veräußerbarkeit (Verkehrsfähigkeit i. w. S.), wobei Letztere eine Aktivierung auch bei Vorliegen eines schuldrechtlichen Veräußerungsverbots oder bei Fehlen eines Abnehmermarkts nicht ausschließt.[8]
  3. Verkehrsfähigkeit als Möglichkeit einer unternehmensexternen Verwertung,[9] die über eine Veräußerung hinausgehend jedwede unternehmensexterne Verwertung, wie sie beispielsweise auch eine Nutzungsüberlassung darstellen kann, umfasst; insofern erfährt bei dieser Auslegung das Verkehrsfähigkeitskriterium der Fälle 1. und 2. eine Erweiterung.
  4. Verkehrsfähigkeit als Eigenschaft von Vermögensgegenständen, deren Identität sich losgelöst von einer möglichen gesetzlichen oder vertraglichen Beschränkung aus der bürgerlich-rechtlichen Definition von Gegenstand und Vermögen, also von Objekten "schuldrechtlicher Rechtsverhältnisse, soweit sie Bestandteile eines durch die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung abgegrenzten Vermögens sein können",[10] ableitet.
 

Rz. 21

Zudem wird in der Literatur[11] neben der Verkehrsfähigkeit die selbstständige Bewertbarkeit als weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Vermögensgegenstands proklamiert, jedoch ist dieses zusätzliche Kriterium wegen der einsichtigen Redundanz mit der Forderung nach der Veräußerbarkeit i. e. S. mit einem Fragezeichen zu versehen. Notwendig ist das Kriterium der Bewertbarkeit jedoch bei weiter Auslegung des Veräußerbarkeitskriteriums, da für den Fall einer ausschließlich abstrakten Verkehrsfähigkeit kein Realisierungstatbestand zur Ableitung des Werts der Sache oder des Rechts besteht.[12]

 

Rz. 22

Vermögensgegenstandseigenschaft von Nutzungsrechten

Für die Beurteilung dinglicher und schuldrechtlicher Nutzungsrechte hinsichtlich ihres Vermögensgegenstandscharakters gelangt man, je nach zugrunde gelegter Begriffsdefinition des Hauptmerkmals Verkehrsfähigkeit, zu unterschiedlichen Ergebnissen.

 

Rz. 23

Eine konkrete Einzelveräußerbarkeit ist für den überwiegenden Teil der hier betrachteten Nutzungsrechte nicht gegeben: Weder der Nießbrauch als dingliches Nutzungsrecht noch die schuldrechtlichen Varianten können diese Anforderung an einen Vermögensgegenstand erfüllen. Lediglich die zivilrechtliche Fundierung des Erbbaurechts ermöglicht eine Übertragung i. S. e. konkreten Einzelveräußerbarkeit; damit wäre bei einer engen Auslegung des Verkehrsfähigkeitskriteriums nur das Erbbaurecht aktivierungsfähig.[13]

 

Rz. 24

Anders ist es dagegen im Fall einer weiten Auslegung der Verkehrsfähigkeit, die auf eine abstrakte Veräußerbarkeit abstellt und damit eine selbstständige Bewertbarkeit fordert. Während das Kriterium der konkreten Verkehrsfähigkeit auf den Liquidations- bzw. Insolvenzfall abstellt, erlaubt die weite Auslegung eine Übereinstimmung mit dem Bilanzierungsgrundsatz des Going concern.[14] Sowohl dingliche als auch schuldrechtliche Nutzungsrechte erfüllen diese weite Interpretation des Einzelveräußerbarkeitskriteriums, soweit für sie zumindest im Fall der erstmaligen Bilanzierung eine selbstständige Bewertbarkeit gegeben ist.[15]

Gegen die Einordnung der Nutzungsrechte in den konkreten oder abstrakten Kontext der Einzelveräußerbarkeit könnte die fehlende Selbstständigkeit des Nutzungsrechts sprechen, da – so die Argumentation von Biergans – die Existenz und der Wert des Nutzungsrechts "unlösbar mit dem belasteten Wirtschaftsgut verknüpft"[16] sind. Eine ausschließliche Veräußerungsmöglichkeit im Zusammenhang mit dem gesamten Unternehmen[17] schließt jedoch eine Aktivierung nach dem weiten Veräußerbarkeitskriteri...

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