rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Trotz einzelner Mängel kann eine Buchführung nach § 140-148 AO aufgrund der Gesamtwertung als formell ordnungsmäßig erscheinen.
  2. Dabei kommt der unterschiedlichen sachlichen Gewichtung der Mängel ausschlaggebende Bedeutung zu.
  3. Die Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO ist im Lichte der im Einzelfall jeweils bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflichten einschränkend auszulegen.
  4. Zur Schätzungsbefugnis des FA im Allgemeinen und unter den besonderen Umständen des Einzelfalls.
 

Normenkette

AO §§ 162, 158

 

Streitjahr(e)

2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 07.12.2010; Aktenzeichen III B 199/09)

 

Tatbestand

Streitig sind Hinzuschätzungen im Anschluss an Außenprüfungen.

Der Kläger betreibt eine Kfz-Repraturwerkstatt mit Gebrauchtwagenhandel. Als ständige Arbeitskräfte beschäftigte er einen Kfz-Meister und einen ungelernten Kfz-Schlosser. Der Kläger ist selbst kein Kfz-Meister. Die Ehefrau des Klägers wurde im Büro beschäftigt.

Das Betriebsgebäude enthält zwei Werkhallen mit jeweils einer Hebebühne. Der Betrieb war montags bis samstags von ca. 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr geöffnet. Die beiden Angestellten hatten eine 37,5 Stundenwoche mit Arbeitszeiten von Montag bis Freitag von ca. 8.00/8.30 Uhr bis 16.00/16.30 Uhr. Samstags war nur der Kläger vor Ort. Aufträge wurden samstags nicht bearbeitet.

Die Kundenaufträge wurden von dem Kläger dergestalt festgehalten, dass der Kfz-Schein des zu reparierenden Fahrzeugs kopiert wurde und der Auftragsumfang und die zu beschaffenden Ersatzteile auf der Kopie notiert wurden. Die Mitarbeiter fügten ihre Arbeitsstunden für die Reparatur hinzu. Mittels dieser Aufzeichnungen wurden die Rechnungen erstellt. Barzahler erhielten handschriftliche vom Kläger gefertigte Rechnungen. Allen anderen Kunden seien Rechnungen erteilt worden, die der Kfz-Meister mit dem PC erstellt habe. Nach Zahlungseingang seien die Fotokopien der Kfz-Scheine mit den darauf enthaltenen Aufzeichnungen vernichtet worden. Erst seit dem 1. Januar 2007 verwendet der Kläger eine vorgedruckte Arbeitskarte zur Dokumentation der Aufträge.

Dieses ist zwischen den Beteiligten unstreitig, wurde dem Beklagten aber erst während der Einspruchsverfahren bekannt.

In der Zeit vom 18. Oktober 2005 bis 9. November 2006 fand beim Kläger eine Betriebsprüfung statt, die die Umsatzsteuer, die Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die Gewerbesteuer der Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003 zum Gegenstand hatte. Außerdem führte der Beklagte eine Umsatzsteuersonderprüfung der Voranmeldezeiträume Januar 2005 bis Dezember 2006 durch.

Während der Prüfungen stellte der Außenprüfer Ermittlungen zur Durchführung einer Kalkulation an:

Der Kläger habe anlässlich der Betriebsbesichtigung angegeben, in der Woche würden ca. 40 produktive Stunden anfallen (Bp-Arbeitsakte Band I Bl. 11).

Der Prüfer ermittelte, dass im Februar 2001 und im Mai 2002 von 450 möglichen Arbeitsstunden (4 Wochen x 3 Personen) nur 106,01 Stunden (23,56 %) bzw. 83,3 Stunden (18,51 %) in den vorhandenen Rechnungen abgerechnet worden waren.

Der Prüfer informierte sich anhand einer Internetseite von … , Technischer Berater, LIV Niedersachsen („KD – Management – Kennzahlen für Markenhändler”) über die Produktivität der Branche. Diese wurde mit 85 % bis 98 % (Verhältnis der produktiv geleisteten Stunden zur Anwesenheitszeit) angegeben. In den Anmerkungen auf der Internetseite waren weitere Ausführungen zum Anwesenheitsgrad und zur Jahresleistung der Arbeitnehmer enthalten, wonach rund 70 % der gesamten zu bezahlenden Arbeitszeit produktiv sei. Ca. 10 % der Anwesenheitszeit würde auf allgemeine Werkstattarbeiten, Nacharbeiten, betriebsinterne Schulungen o.ä. entfallen. Die monatlichen produktiven Stunden für den Kunden, Garantie und internen Anforderungen wurden bei einer 37 Stunden Woche mit 110 Stunden bis 122 Stunden monatlich angegeben. Der Anteil unproduktiver Stunden betrage 28 %-40 %. Die Daten stammten aus dem Jahr 1996.

Außerdem telefonierte der Prüfer am … 2006 mit Herrn L. von der Innung des Kfz-Handwerks …, der für das Jahr 2003 eine Auslastung (Arbeit an Aufträgen in der Ist-Zeit) von 95 % bis 100 % und eine Produktivität (in Rechnung gestellte Arbeitsstunden im Verhältnis zur Ist-Zeit) von 85 % und mehr bei einem mittleren Betrieb und über 98 % bei einem guten Betrieb angab. Herr L. schickte noch am … 2006 eine Aufstellung über vier Betriebe, deren Produktivität (Verhältnis zwischen Anwesenheit und produktiver Stunden) im Durchschnitt mit 73,44 % angegeben wurde.

Schließlich recherchierte der Außenprüfer einen Artikel aus dem Internetforforum „kfz-Betrieb online” vom 30. September 2002 von Herrn K. vom Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe („Gut geplant ist halb gewonnen”), wonach für einen Monteur pro Jahr maximal 1.552,5 Arbeitstunden verrechenbar seien. Die dabei vorausgesetzte Auslastung von 100 % gebe es in der Praxis abe...

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