rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zweijährigen Frist für die Antragsveranlagung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Ein Rechtsirrtum über Verfahrensrecht, etwa den Beginn oder das Ende einer Antragsfrist, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen.
  2. Gleich zu behandeln sind Fälle, bei denen eine unverschuldete Unkenntnis einer einzuhaltenden gesetzlichen Frist vorliegt.
  3. Einem Stpfl., der die gesetzliche Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung nicht gekannt hat, kann Wiedereinsetzung gewährt werden.
 

Normenkette

AO § 110

 

Streitjahr(e)

1998

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.05.2006; Aktenzeichen VI R 46/04)

BFH (Urteil vom 22.05.2006; Aktenzeichen VI R 46/04)

 

Tatbestand

Die Kläger haben die zweijährige Antragsfrist für die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 1998 gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) versäumt. Die Kläger behaupten, von der Frist und ihrer ausschließenden Wirkung nichts gewusst zu haben. Sie hätten von Oktober bis Ende Dezember 2000 einen ungewollten und ungeplanten Aufenthalt in Polen gehabt. Das sei der Grund, warum sie anders als in den Vorjahren die Unterlagen für die Einkommensteuererklärung nicht schon im alten Jahr, sondern erst im Februar 2001 bei ihren Steuerberatern abgegeben hätten. Der Beklagte hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, weil er von einem Verschulden der Kläger ausgeht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Einspruchsbescheid des Beklagten vom 31.10.2001.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Nichtveranlagungsbescheides vom 03.05.2001 und der Einspruchsentscheidung vom 31.10.2001 den Beklagten zu verpflichten, die Kläger nach Maßgabe der vorliegenden Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kläger sind während der mündlichen Verhandlung zum Sachverhalt und zu ihren steuerlichen und verfahrensrechtlichen Kenntnissen befragt worden. Wegen des Ergebnisses dieser Befragung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3, 4 Finanzgerichtsordnung [FGO]) erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Bescheidungsklage (§ 101 Satz 2 FGO) hat Erfolg. Der Beklagte hat den Klägern zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Antragsfrist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG verwehrt.

Im Streitfall sind die Voraussetzungen für eine Amtsveranlagung unstreitig nicht erfüllt, so dass die hier beantragte Veranlagung nur stattfinden kann, wenn sie rechtzeitig, d.h. bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs – das war hier der 31.12.2000 – beantragt worden ist. Ist der Antrag nicht rechtzeitig gestellt worden, kann er nur noch berücksichtigt werden, wenn dem Steuerpflichtigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) gewährt werden kann. Die Kläger haben ihre Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998 erst am 03.03.2001 beim Beklagten und damit erst nach Ablauf der Ausschlussfrist eingereicht.

Den Klägern ist aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist zu gewähren. Entgegen der Auffassung des Beklagten haben sie diese Frist schuldlos versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Schuldlos handelt nach ständiger Rechtsprechung nur, wer diejenige Sorgfalt anwendet, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Bürger geboten und ihm nach den Gesamtumständen des konkreten Einzelfalls zumutbar ist. Dabei sind die vorauszusetzenden Kenntnisse, Möglichkeiten und Fähigkeiten des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. dazu Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl. 2003, § 110 Rz 4 mit ausführlichen Hinweisen auf die Rechtsprechung). Ausgehend von diesem Verschuldensbegriff hat die Rechtsprechung schon früh anerkannt, dass ein Rechtsirrtum über Verfahrensrecht, etwa den Beginn oder das Ende einer Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann (vgl. etwa BFH, Urteil vom 08.03.1957 – VI 117/55 U – BStBl III 1957, 190). Gleich zu behandeln sind Fälle, bei denen eine unverschuldete Unkenntnis einer einzuhaltenden gesetzlichen Frist vorliegt (vgl. etwa für die hier versäumte Frist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG, FG Köln, Urteil vom 24.10. 2000 – 8 K 1839/00 – EFG 2001, 755; ferner Klein/Brockmeyer, a.a.O., Tz 15; Tipke/ Kruse, AO/FGO, 16. Aufl., § 110 Tz. 14; Schmidt/Glanegger, EStG, 22. Aufl. 2003, § 46 Tz 87; a.A. FG des Saarlandes, Urteil vom 25.09.2002 – 1 K 361/01 – EFG 1610, das sich zu Unrecht auf den Beschluss des BFH vom 08.05.1996 – X B 166/95BFH/NV 1996, 771 beruft und Nds. FG, Urteil vom 26.02....

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