vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [I R 29/08)]

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anwendung von § 68 FGO bei nach § 102 Satz 2 FGO unzulässiger Nachholung von Ermessenserwägungen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Zur Anwendung des § 68 FGO auf Ermessensentscheidungen.
  2. Die Neufassung des § 68 Satz 1 FGO soll nach ihrem Zweck sowohl der Rechtsschutzgewährung als der Verfahrenskonzentration dienen. Es muss daher sichergestellt sein, dass die ihm ändernden bzw. ersetzenden Bescheid enthaltenen Neuregelung auch im anhängigen Klageverfahren in der Sache überprüft werden kann. Hieran fehlt es z. B., wenn die gegen den ursprünglichen Bescheid eingelegte Klage wegen Ablaufs der Rechtsbehelfsfrist unzulässig ist. Dann ist – ausnahmsweise – das Einspruchsverfahren gegen den „Änderungsbescheid” eröffnet.
  3. Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass in einem während der Klageverfahrens erlassenen Haftungsbescheid im Wege einer unzulässigen Nachholung Ermessenserwägungen vorgebracht werden, die das Gericht angesichts § 102 Satz 2 FGO in der Sache nicht überprüfen kann.
 

Normenkette

FGO §§ 68, 102; AO § 191

 

Streitjahr(e)

2000

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.12.2008; Aktenzeichen I R 29/08)

 

Tatbestand

Streitig ist, die Rechtmäßigkeit eines gegen den Kläger ergangenen Haftungsbescheids.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der im Rahmen seiner satzungsmäßigen Zwecke Konzerte veranstaltet.

Mit Werkvertrag … beauftragte der Kläger die Konzertdirektion S-GmbH (GmbH) aus Österreich mit der Durchführung eines Konzerts mit der „A S” in H am 17. März 2000. Vereinbart war ein festes Honorar in Höhe von … DM.

Die GmbH beantragte als Vergütungsgläubigerin die Erteilung eines Freistellungsbescheids nach § 50d Abs. 3 EStG. Dieser wurde von dem damaligen Bundesamt für Finanzen in Bezug auf die Vergütung für die Überlassung eines Künstlers/einer Künstlergruppe am 17. März 2000 (Vertrag …) in H und für im Zeitraum vom 1. bis 31. März 2000 von dem Kläger an die GmbH gezahlte Vergütungen gewährt. Der Bescheid erging unter der Bedingung, dass die GmbH als Antragstellerin nachzuweisen hatte, den ihr obliegenden Verpflichtungen in Bezug auf Steuerabzug und Steueranmeldung für an die auftretenden Künstler weitergeleitete Vergütungen nachgekommen zu sein.

Auf Nachfrage des Beklagten teilte die GmbH mit, sie habe einen Betrag in Höhe von … USD an die 41 Orchestermusiker gezahlt.

Der Beklagte (das Finanzamt – FA) forderte den Kläger daraufhin zunächst unter Verweis auf die nicht erfüllte Bedingung im Freistellungsbescheid zur Abgabe der Steueranmeldung auf.

Nachdem auch eine weitere Frist ergebnislos verstrichen war, erließ der Beklagte einen gegen den Kläger als Vergütungsschuldner gerichteten Haftungsbescheid. Ausführungen zum Ermessen enthielten weder der Haftungsbescheid noch die Einspruchsentscheidung.

Während des Klageverfahrens hob der Beklagte den Haftungsbescheid in vollem Umfang auf. Gleichzeitig erließ er einen neuen (betragsmäßig identischen) Haftungsbescheid, der den gleichen Sachverhalt zum Gegenstand hatte. Hierin war u.a. ausgeführt, die Inanspruchnahme des Klägers als inländischer Haftungsschuldner erfolge deshalb, weil die Steuerschuldnerin im Ausland ansässig sei und weil der Vertrag und die Vergütung, aus welcher die zugrunde liegende Steuerschuld resultiere, von ihm abgeschlossen bzw. geleistet sei. Von einer Inanspruchnahme des gesetzlichen Vertreters des Klägers nach §§ 191, 69, 34 AO werde zunächst abgesehen.

Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt den Hinweis, der Bescheid werde gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens.

Der Kläger erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Beklagte gab keine Erledigungserklärung ab.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.

Der Beklagte beantragt weiterhin,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner in der Rechtsbehelfsbelehrung des neuen Haftungsbescheides zum Ausdruck gebrachten Auffassung, wonach dieser nun Verfahrensgegenstand und der Rechtsstreit demzufolge nicht erledigt sei, fest.

 

Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.

Durch die Aufhebung des Haftungsbescheides vom 8. Januar 2001 hat der Beklagte dem ursprünglichen Begehren des Klägers in vollem Umfang entsprochen. Der Rechtsstreit hat sich hierdurch erledigt, da der zeitgleich mit der Aufhebung erlassene neue Haftungsbescheid vom 27. Februar 2008 nicht gemäß § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist.

Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2001 wird ein angefochtener Verwaltungsakt (automatisch) Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, § 68 Satz 1 FGO.

Dem Wortlaut nach gilt § 68 Satz 1 FGO auch für Ermessensverwaltungsakte wie z.B. Haftungsbescheide. Die generelle Anwendbarkeit der Norm ist jedoch umstritten. So wird in der Literatur vertreten, § 68 FGO solle – wegen des hiermit verbundenen Verlu...

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