Leitsatz

1. Als Nachweis für eine Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG sind nur Beweismittel geeignet, aus denen sich ergibt, dass für den betreffenden Anspruchszeitraum bereits eine entsprechende steuerliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG durch das zuständige Finanzamt vorgenommen wurde. Bescheinigungen des Finanzamts, die schon vor Beginn des maßgeblichen Veranlagungszeitraums für eine unbegrenzten Zeitraum in der Zukunft ausgestellt werden, sind keine tauglichen Beweismittel.

2. Ist ein anderer Mitgliedstaat nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004 aufgrund einer von einem Elternteil dort ausgeübten Erwerbstätigkeit vorrangig zur Erbringung von Familienleistungen verpflichtet, muss Deutschland nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 keinen Unterschiedsbetrag gewähren, wenn der Anspruchsteller in Deutschland zwar einen Wohnsitz hat oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wird, jedoch der inländische Kindergeldanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird, weil der Anspruchsteller in Deutschland keine Beschäftigung und keine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und auch keine Rente bezieht.

 

Normenkette

§ 62 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 3 EStG, Art. 68 Abs. 1, Abs. 2 VO Nr. 883/2004, Art. 60 VO Nr. 987/2009

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater von zwei im Juli 2001 und im Oktober 2003 geborenen Kindern, mit denen er in Großbritannien wohnt, wo er seit 2006 als Arzt an einer Klinik arbeitet. Er war auch Eigentümer und Vermieter eines Hauses in Deutschland und hielt sich dort vornehmlich in den Schulferien – teilweise mit seiner Familie – auch auf. Laut einer Bescheinigung des FA vom 12.4.2012 gilt der Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG ab dem Jahr 2011 antragsgemäß als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Die Familienkasse setzte im April 2012 Kindergeld für die beiden Kinder i.H.v. 193,08 EUR pro Monat ab Januar 2011 fest. Der Betrag errechnete sich aus der Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld (2 × 184 EUR = 368 EUR) und dem in Großbritannien bestehenden Anspruch auf Familienleistungen.

Der Child Benefit wurde in Großbritannien für Erwerbstätige mit einem Jahreseinkommen von über 60.000 Pfund ab 2013 eingeschränkt. Die Familienkasse lehnte jedoch eine über den Differenzbetrag hinausgehende, die vollen gesetzlichen Kindergeldsätze umfassende Festsetzung von Kindergeld ab, weil der Anspruch in Großbritannien dem Grunde nach weiterhin bestehe.

Das FG (FG Nürnberg, Urteil vom 15.2.2017, 3 K 1601/14, Haufe-Index 11197802) gab der Klage statt und verpflichtete die Familienkasse, für Januar 2013 bis November 2014 Kindergeld für die beiden Kinder in voller Höhe und damit i.H.v. insgesamt zusätzlich 174,92 EUR pro Monat festzusetzen.

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils. Im zweiten Rechtsgang wird das FG anhand der Einkommensteuerbescheide für 2013 und 2014 zu prüfen haben, ob der Kläger tatsächlich nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.

 

Hinweis

1. Der Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass das FA den Steuerpflichtigen antragsgemäß nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt hat. Das FG hat aus einer 2012 vom FA ausgestellten Bescheinigung, wonach der Kläger ab dem Jahr 2011 antragsgemäß als nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gilt, den Schluss gezogen, dass er im Streitzeitraum Januar 2013 bis November 2014 nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wurde. Da der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG erforderliche Antrag aber für jeden VZ neu zu stellen ist, kann eine 2012 erstellte Bescheinigung keine Auskunft über die Veranlagung künftiger Jahre geben. Der BFH war insoweit nicht nach § 118 Abs. 2 FGO an die abweichende Auslegung der Bescheinigung durch das FG gebunden, da die Auslegung des in einer Urkunde Erklärten nicht zu den Tatsachenfeststellungen, sondern zur Rechtsanwendung gehört.

2. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG war überdies fragwürdig, ob die Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau – wie für § 1 Abs. 3 EStG erforderlich – zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben: Die in Großbritannien zu versteuernden Einkünfte des Klägers als angestellter Arzt dürften dann maximal 10 % der Welteinkünfte umfasst haben. Das ist auch für das Kindergeld bedeutsam, denn die Bindungswirkung der Behandlung durch das FA kann entfallen, wenn der Steuerbescheid auf unzutreffenden Tatsachenangaben des Antragstellers beruht.

3. Falls sich im zweiten Rechtsgang ergeben sollte, dass der Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde, wäre anders als bei einer nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu entscheidenden Konkurrenz mittels eines Auskunftsersuchens gegenüber der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats Großbritannien zu klären, ob und in welchem Umfang dort ein Anspruch auf Familienleistungen für die Kinder des Klägers bestand. Dabei wäre dann auch der rechtl...

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