Leitsatz

1. Mietzahlungen, die einen zusätzlichen, weiteren Wohnbedarf abdecken, weil die Wohnung, die den existenziellen, ersten Wohnbedarf abdecken sollte, nicht mehr bewohnbar ist, können außergewöhnliche und aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige Aufwendungen sein.

2. Aufwendungen für einen weiteren, zusätzlichen Wohnbedarf können nur für den Zeitraum als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, der erforderlich ist, die dem ersten Wohnbedarf gewidmete Wohnung wieder in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen. Ist eine Wiederherstellung der Bewohnbarkeit nicht möglich, so sind die Aufwendungen für den weiteren Wohnbedarf nur bis zu dem Zeitpunkt anzuerkennen, in dem dem Steuerpflichtigen dies bewusst wird.

 

Normenkette

§ 33 EStG

 

Sachverhalt

K hatte eine gebrauchte Eigentumswohnung ohne Gewähr und ohne Haftung für Sachmängel erworben. Die Wohnungsübergabe erfolgte im August 1999. Zur Finanzierung wurde ein bis Ende 2003 mit monatlich 1 063 DM zu bedienendes Darlehen aufgenommen. Mit Ordnungsverfügung vom 28.02.2000 stellte das Bauordnungsamt eine erhebliche Einsturzgefahr für das Gebäude fest und untersagte K das Betreten der Wohnung. Ks zivilrechtliche Klage gegen den Verkäufer blieb erfolglos.

K beantragte mit der ESt-Erklärung für 2001 und 2002 die monatliche Miete i.H.v. 1 000 DM für die ersatzweise angemietete Wohnung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Das FA folgte dem nicht. Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2007, 14 K 6385/04 E, Haufe-Index 2114345, EFG 2009, 342).

 

Entscheidung

Der BFH wollte den Mietaufwand nur zeitlich begrenzt zum Abzug zulassen. Daher hob er, wie unter Praxishinweisen dargestellt, die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück

 

Hinweis

Die Entscheidung des BFH ist ein ja, aber: Ja, entstandene Mietaufwendungen können außergewöhnliche Belastungen sein (1.). Aber nur für einen begrenzten Zeitraum, denn Wohnkosten sind grundsätzlich Kosten der Lebensführung (2.). Im Zeitpunkt der Entscheidung schien das Urteil eher einzelfallbezogen, hat jetzt aber angesichts der in Ostdeutschland entstandenen Hochwasserschäden Aktualität erlangt. Denn in Notsituationen kann immer wieder auch Wohnbedarf den Tatbestand der außergewöhnlichen Belastung erfüllen. Bei Hochwasserschäden geht die Finanzverwaltung wohl selbst davon aus (vgl. R 33.2 Nr. 2 EStR"unabwendbares Ereignis wie … Hochwasser").

1.§ 33 EStG soll zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen und abstrakt formulierten Steuertatbeständen entziehen. Daher fordert § 33 EStG stets, Regelaufwand, der mit dem Grundfreibetrag abgegolten ist, von außergewöhnlichem Mehraufwand abzugrenzen. Aufwendungen für den existenziellen Wohnbedarf sind noch der normalen Lebensgestaltung und Lebensführung zuzuordnen und daher nicht außergewöhnlich.

Die Grenze zum Außergewöhnlichen ist aber überschritten, wenn Aufwendungen für einen zweiten Wohnbedarf entstehen, weil die den existenziellen Wohnbedarf abdeckende Wohnung unbewohnbar geworden ist. Solche Ausgaben sind außergewöhnlich i.S.v. § 33 EStG, weil nicht mehr der normalen Lebensgestaltung und Lebensführung zuzuordnen. Deshalb war hier der zusätzliche Wohnbedarf zwangsläufig entstanden. Dem Aufwand konnte sich K angesichts der Ordnungsverfügung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen auch nicht mehr entziehen. Weil K auch kein eigenes (ursächliches) Verschulden traf – realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte waren nicht ersichtlich, die Miete war angemessen und eine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit hatte nicht bestanden – waren auch die übrigen Voraussetzungen für den Abzug außergewöhnlicher Belastungen gegeben.

2. Das "aber" des BFH ist im Prüfungsauftrag für den vom FG durchzuführenden zweiten Rechtsgang ­enthalten. Weil die Ordnungsverfügung vom 28.02.2000 datierte, aber Miete für die Streitjahre 2001 und 2002 geltend gemacht wurde, gab es Anlass zur Klarstellung: Mietaufwendungen können nicht zeitlich unbegrenzt als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Denn ein zusätzlicher Wohnbedarf ist nur solange anzuerkennen, bis entweder die eigentliche Wohnung wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt wurde oder dem Steuerpflichtigen bewusst wird, dass eine Wiederherstellung nicht möglich ist. Der Gedanke des BFH liegt auf der Hand: ist der angemessene Zeitraum verstrichen, wird spätestens dann aus dem zweiten außergewöhnlichen Wohnbedarf der erste gewöhnliche Wohnbedarf.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 21.04.2010 – VI R 62/08

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